Der Gotteswahn
behauptete auch, er habe schon vorher gewusst, dass Attenborough zu ihm kommen werde, denn das habe John Frum ihm über »Funk« mitgeteilt. Attenborough wollte das Funkgerät sehen, aber dieses Ansinnen wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Er wechselte das Thema und erkundigte sich, ob Nambas den Messias John Frum schon einmal gesehen hätte:
Nambas nickte heftig. »Ich ihn gesehen viele Male.«
»Wie sieht er aus?«
Nambas deutete mit dem Finger auf mich. »Er aussehen wie du. Er haben weiß Gesicht. Er großer Mann.
Er lange leben Südamerika.«
Dieses Detail steht im Widerspruch zu der zuvor wiedergegebenen Legende, wonach John Frum ein kleiner Mann war. So geht es, wenn Legenden ihre Evolution durchmachen.
Man glaubt, John Frum werde an einem 15. Februar wiederkehren, nur das Jahr ist nicht bekannt. Jedes Jahr zu diesem Datum versammeln sich seine Anhänger, um ihn mit einer religiösen Zeremonie willkommen zu heißen. Bisher ist er nicht gekommen, aber die Gemeinde lässt sich nicht entmutigen. David Attenborough sagte zu Sam, einem Anhänger des Kults:
»Aber Sam, es ist schon neunzehn Jahre her, seit John gesagt hat, die Fracht werde kommen. Er verspricht und verspricht, aber die Fracht kommt nicht. Sind neunzehn Jahre nicht eine lange Zeit zum Warten?«
Sam hob den Blick vom Boden und sah mich an. »Wenn ihr zweitausend Jahre auf Jesus Christus wartet, und er kommt nicht, dann kann ich auch mehr als neunzehn Jahre auf John warten.«
Robert Buckman zitiert in seinem Buch Can We Be Good without God? (»Können wir ohne Gott gut sein?«) die gleiche bewundernswerte Antwort eines John-Frum-Jüngers; dieser gab sie vierzig Jahre nach David Attenboroughs Begegnung einem kanadischen Journalisten.
Im Jahr 1974 besuchten die britische Königin und Prinz Philip die Region; anschließend wurde der Prinzgemahl in einer Neuauflage des John-Frum-Kults ebenfalls vergöttlicht. (Auch hier fällt auf, wie schnell sich die Details in der religiösen Evolution wandeln können.) Der Prinz, ein gut aussehender Mann, machte in seiner weißen Marineuniform mit dem federgeschmückten Helm sicher eine gute Figur, und vielleicht ist es schon deshalb nicht verwunderlich, dass er und nicht die Königin in den Götterstand erhoben wurde; abgesehen davon wäre es in der Kultur der Inselbewohner ohnehin schwierig gewesen, eine weibliche Gottheit anzuerkennen.
Ich möchte mich nicht allzu sehr an den Cargo-Kulten des Südpazifikraumes festbeißen. Aber sie bieten uns ein faszinierendes, modernes Beispiel dafür, wie Religionen nahezu aus dem Nichts entstehen können. Insbesondere können wir daraus vier allgemeine Lehren über den Ursprung von Religionen ziehen, und die möchte ich hier kurz darlegen. Erstens kann ein Kult ungeheuer schnell entstehen. Zweitens verwischen sich die Spuren des Entstehungsprozesses sehr schnell. Wenn John Frum überhaupt gelebt hat, dann zu einer Zeit, für die es heute noch Zeitzeugen gibt. Aber obwohl der zeitliche Abstand so gering ist, steht nicht genau fest, ob es ihn überhaupt gab. Die dritte Lektion ergibt sich aus der Tatsache, dass ähnliche Kulte unabhängig voneinander auf verschiedenen Inseln entstanden. Die systematische Untersuchung dieser Ähnlichkeiten liefert Aufschlüsse über die menschliche Psyche und ihre Anfälligkeit für Religionen. Und viertens sind die Cargo-Kulte nicht nur untereinander ähnlich, sondern sie ähneln auch älteren Religionen. Das Christentum und andere Religionen, die heute weltweit verbreitet sind, waren anfangs vermutlich ebenso lokal begrenzte Kulte wie der um John Frum.
Wissenschaftler wie Geza Vermes, Professor für jüdische Studien an der Universität Oxford, äußerten sogar die Vermutung, Jesus sei nur eine von vielen charismatischen Gestalten gewesen, die ungefähr zur gleichen Zeit in Palästina auftraten und um die sich ähnliche Legenden rankten. Die meisten dieser Kulte verschwanden wieder; nur einer, so diese Vorstellung, überlebte und begegnet uns heute noch. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er durch weitere Evolution (durch memetische Selektion, wenn man es so formulieren will – was aber nicht unbedingt nötig ist) zu dem raffinierten System – oder eigentlich zu auseinanderstrebenden Nachfolgesystemen – geformt, das heute in weiten Teilen der Welt eine beherrschende Stellung einnimmt. Eine gute Gelegenheit, den Aufstieg von Kulten und ihre weitere memetische Evolution zu studieren, bietet der Tod charismatischer Gestalten aus
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