Der Gotteswahn
wie den von Platon zu glauben, wenn wir dadurch während unseres Lebens zum Seelenfrieden finden. Aber Ihre Weltanschauung führt zu Angst, Drogensucht, Gewalt, Nihilismus, Hedonismus, Frankenstein-Wissenschaft, zur Hölle auf Erden und zum Dritten Weltkrieg … Ich frage mich: Wie glücklich sind Sie in Ihren zwischenmenschlichen Beziehungen? Sind Sie geschieden? Verwitwet? Homosexuell? Menschen wie Sie sind niemals glücklich, sonst würden sie nicht so verbissen zu beweisen versuchen, dass es kein Glück gibt und dass nichts einen Sinn hat.
Der Ton dieses Briefes ist zwar nicht typisch, aber er spiegelt eine verbreitete Empfindung wider. Sein Verfasser glaubt, der Darwinismus sei seinem Wesen nach nihilistisch, weil er angeblich lehrt, dass wir durch blinden Zufall entstanden seien (zum x-ten Mal: Natürliche Selektion ist genau das Gegenteil eines Zufallsprozesses) und nach unserem Tod vernichtet würden. Als unmittelbare Folge erwachsen aus dieser angeblichen Negativität dann alle möglichen Übel. Vermutlich wollte der Schreiber nicht wirklich unterstellen, der Stand als Witwer sei eine unmittelbare Folge meines Darwinismus, aber an dieser Stelle hatte der Brief bereits jenes Maß an panischer Boshaftigkeit erreicht, das ich bei meinen christlichen Korrespondenzpartnern immer wieder feststellen muss.
Weil ich der Frage nach dem letzten Sinn und der Poesie der Naturwissenschaft schon ein ganzes Buch gewidmet habe, Unweaving the Rainbow (Der entzauberte Regenbogen) , und darin sehr gezielt und ausführlich den Vorwurf der nihilistischen Negativität widerlegt habe, werde ich mich dazu an dieser Stelle zurückhalten. Stattdessen handelt das vorliegende Kapitel vom Bösen und seinem Gegenteil, dem Guten. Es geht um die Ethik: Woher kommt sie, warum sollten wir sie uns zu eigen machen, und brauchen wir dafür eine Religion?
Hat unser Moralgefühl einen darwinistischen Ursprung?
Die Ansicht, dass sich unser Gespür für Richtig und Falsch, Gut und Böse aus unserer darwinistischen Vergangenheit ableiten lasse, wurde bereits in mehreren Büchern vertreten – unter anderem in Why Good Is Good (»Warum gut gut ist«) von Robert Hinde, The Science of Good and Evil (»Die Wissenschaft vom Guten und vom Bösen«) von Michael Shermer, Can We Be Good Without God? (»Können wir ohne Gott gut sein?«) von Robert Buckman und Moral Minds (»Moralisches Denken«) von Marc Hauser. Im folgenden Abschnitt möchte ich dieser Argumentation meine eigene Fassung geben.
Die darwinistische Vorstellung, natürliche Selektion sei die Triebkraft der Evolution, scheint auf den ersten Blick nicht dazu geeignet zu sein, unsere guten Eigenschaften oder unser Gefühl für Moral, Anstand, Mitgefühl und Mitleid zu erklären. Hunger, Angst oder sexuelle Begierde lassen sich leicht mit der natürlichen Selektion begründen, denn sie alle tragen ganz unmittelbar zu unserem Überleben oder zur Erhaltung unserer Gene bei. Doch wie steht es mit dem quälenden Mitgefühl, das wir empfinden, wenn wir ein weinendes Waisenkind sehen, eine alte, in ihrer Einsamkeit verzweifelte Witwe oder ein Tier, das vor Schmerzen winselt? Woher kommt unser machtvoller Drang, eine anonyme Geld- oder Kleiderspende an Tsunamiopfer auf der anderen Seite des Globus zu schicken, also an Menschen, die wir wahrscheinlich nie kennen lernen werden und die uns im Gegenzug vermutlich keinen Gefallen tun können? Woher stammt der Barmherzige Samariter in uns? Ist Güte nicht unvereinbar mit der Theorie der »egoistischen Gene«? Nein, das ist sie nicht. Aber es ist im Zusammenhang mit dieser Theorie ein verbreitetes, bedrückendes (und im Rückblick leider vorhersehbares) Missverständnis. [36]
Es ist nur erforderlich, das richtige Wort zu betonen; die richtige Gewichtung lautet »Das egoistische Gen « . Dann steht es im Gegensatz zum egoistischen Organismus oder zur egoistischen Spezies. Doch das muss ich etwas genauer erklären.
Die darwinistische Logik führt zu der Erkenntnis, dass jenes Element in der Hierarchie des Lebendigen, das überlebt und vom Filter der natürlichen Selektion durchgelassen wird, egoistisch ist. In der Umwelt überleben diejenigen Einheiten, denen es gelingt, auf Kosten ihrer auf der gleichen Hierarchieebene angesiedelten Rivalen zu überleben. Genau das bedeutet das Wort »egoistisch« in diesem Zusammenhang. Die entscheidende Frage lautet: Auf welcher Ebene findet das Ganze statt? Die Vorstellung vom egoistischen Gen – mit der richtigen
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