Der Gotteswahn
wäre.
Ich bin nicht dafür, jemanden nur um der Sache selbst willen zu beleidigen oder zu verletzen. Aber für mich ist es faszinierend und rätselhaft, dass die Religion in unserer ansonsten säkularen Gesellschaft derart unverhältnismäßige Vorrechte genießt. Alle Politiker müssen sich respektlose Karikaturen ihrer Gesichter gefallen lassen, und niemand geht zu ihrer Verteidigung auf die Straße. Was ist das Besondere an der Religion, dass wir ihr einen so einzigartigen Respekt entgegenbringen? H.L. Mencken sagte einmal: »Wir müssen die Religion des anderen respektieren, aber nur in dem Sinn und dem Umfang, wie wir auch seine Theorie respektieren, wonach seine Frau hübsch ist und seine Kinder klug sind.«
Vor dem Hintergrund dieses beispiellosen Respektsanspruchs der Religion gebe ich hiermit für dieses Buch meine eigene Erklärung ab: Ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen, jemanden zu beleidigen, aber ich werde auch keine Samthandschuhe anziehen und die Religion nicht sanfter behandeln, als ich es mit allem anderen tun würde.
2. Die Gotteshypothese
Die Religion des einen Zeitalters ist die literarische Unterhaltung des nächsten.
Ralph Waldo Emerson
Der Gott des Alten Testaments ist – das kann man mit Fug und Recht behaupten – die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann. Wer von Kindheit an in seinen Methoden geschult wurde, ist vielleicht unempfindlich gegen ihre Entsetzlichkeit geworden. Klarer sieht der naive Mensch, der mit der Sichtweise des Unwissenden gesegnet ist. Winston Churchills Sohn Randolph schaffte es irgendwie, lange in Unkenntnis der Bibel zu bleiben. Doch dann unternahmen Evelyn Waugh und ein Regimentskamerad einen vergeblichen Versuch, den jungen Mann ruhigzustellen, mit dem sie im Krieg gemeinsam abkommandiert waren: Sie wetteten mit ihm, er könne unmöglich die ganze Bibel in vierzehn Tagen durchlesen. »Leider war das Ergebnis nicht wie erhofft. Er hatte zuvor noch nie etwas daraus gelesen und ist jetzt schrecklich aufgeregt; ständig liest er uns laut Zitate vor, mit der Bemerkung ›Wetten, dass ihr nicht wusstet, dass das in der Bibel steht‹. Oder er schlägt sich einfach auf die Seite und schnaubt: ›Mein Gott, ist das ein beschissener Gott!‹« 18 Eine ähnliche Ansicht vertrat auch der – belesenere – Thomas Jefferson: Er bezeichnete den Gott des Moses als »entsetzliche Gestalt – grausam, rachsüchtig, launisch und ungerecht.«
Ein so leichtes Ziel anzugreifen ist unfair. Die Gotteshypothese sollte weder mit Jahwe, ihrer abstoßendsten Verkörperung, stehen und fallen noch mit ihrem fade-entgegengesetzten christlichen Gesicht, dem »sanften Jesus, lieb und mild«. (Um abermals fair zu sein: Diese Muttersöhnchengestalt verdankt ihren viktorianischen Jüngern mehr als Jesus selbst. Kann irgendetwas anderes so viel süßliche Übelkeit hervorrufen wie »Christenkinder müssen sein / sanft gehorsam, gut wie er« von Mrs. C.F. Alexander?) Mein Angriff gilt nicht den besonderen Eigenschaften von Jahwe, Jesus oder Allah und auch keinem anderen einzelnen Gott wie Baal, Zeus oder Wotan. Ich möchte die Gotteshypothese, damit sie besser zu verteidigen ist, wie folgt definieren: Es gibt eine übermenschliche , übernatürliche Intelligenz , die das Universum und alles , was darin ist , einschließlich unserer selbst , absichtlich gestaltet und erschaffen hat.
In diesem Buch wird dagegen eine ganz andere Ansicht vertreten: Jede kreative Intelligenz , die ausreichend komplex ist , um irgendetwas zu gestalten , entsteht ausschließlich als Endprodukt eines langen Prozesses der allmählichen Evolution. Da kreative Intelligenz durch Evolution entstanden ist, tritt sie im Universum zwangsläufig erst sehr spät in Erscheinung. Sie kann das Universum deshalb nicht entworfen haben. Gott im eben definierten Sinn ist eine Illusion – und zwar, wie in späteren Kapiteln deutlich werden wird, eine gefährliche Illusion.
Da die Gotteshypothese sich nicht auf Belege stützt, sondern auf lokale Überlieferungen und private Offenbarungen, ist es nicht verwunderlich, dass sie in vielen Versionen existiert. Religionshistoriker erkennen
Weitere Kostenlose Bücher