Der Gotteswahn
eine Entwicklung vom primitiven Stammesanimismus über polytheistische Religionen wie bei Griechen, Römern und Wikingern bis zum Monotheismus des Judentums und seiner Abkömmlinge, des Christentums und des Islam.
Polytheismus
Warum der Wechsel vom Polytheismus zum Monotheismus eine ganz offensichtlich fortschrittliche Verbesserung darstellen soll, ist nicht geklärt. Allgemein wird das aber angenommen – was Ibn Warraq (den Autor von Warum ich kein Muslim bin ) zu der scharfsinnigen Vermutung veranlasste, der Monotheismus sei seinerseits dazu verurteilt, noch einen weiteren Gott abzugeben und zum Atheismus zu werden. Die Catholic Encyclopedia tut Polytheismus und Atheismus in dem gleichen unbekümmerten Atemzug ab: »Der formelle, dogmatische Atheismus widerlegt sich selbst und hat de facto nie die durchdachte Zustimmung einer nennenswerten Zahl von Menschen erlangt. Ebenso kann der Polytheismus, so leicht er auch in der volkstümlichen Fantasie Fuß fassen mag, nie den Geist eines Philosophen befriedigen.« 19
Der monotheistische Chauvinismus war bis vor kurzem in den englischen und schottischen Gesetzen über gemeinnützige Organisationen festgeschrieben: Darin wurden polytheistische Religionen diskriminiert, wenn es um die Steuerbefreiung ging, während es Organisationen, die monotheistische Religionen vertraten, leicht gemacht wurde; diesen blieb die rigorose Überprüfung erspart, der säkulare gemeinnützige Organisationen unterworfen wurden. Ich hätte nicht übel Lust, einen Vertreter der angesehenen britischen Hindugemeinde zu einer gerichtlichen Klage zu veranlassen, um diese hochnäsige Diskriminierung des Polytheismus in einem Gerichtsverfahren einmal überprüfen zu lassen.
Viel besser wäre es natürlich, Religion überhaupt nicht mehr wegen Gemeinnützigkeit zu fördern. Dies wäre für die Gesellschaft von großem Nutzen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo die Summe der steuerfreien Gelder, die von den Kirchen aufgesogen werden und die in die ohnehin dicken Brieftaschen gut bezahlter Fernsehevangelisten fließen, ein nur noch als obszön zu bezeichnendes Ausmaß erreicht. Der zutreffend so benannte Oral Roberts erzählte seinem Fernsehpublikum einmal, Gott werde ihn töten, wenn die Zuschauer ihm nicht acht Millionen Dollar spendeten. Unglaublich, aber wahr: Es klappte. Steuerfrei! Roberts selbst ist immer noch putzmunter, und das Gleiche gilt für seine »Oral Roberts University« in Tulsa (Oklahoma). Deren Gebäude mit einem Wert von 250 Millionen Dollar wurden von Gott selbst mit folgenden Worten in Auftrag gegeben: »Wecket eure Studenten auf, damit sie Meine Stimme hören, damit sie dorthin gehen, wo Mein Licht schwach ist, wo Meine Stimme nur leise erklingt, wo Meine Heilkraft nicht bekannt ist, bis an die äußersten Enden der Erde. Ihre Werke werden größer sein als eure, und darin bin Ich erfreut.«
Bei genauerem Nachdenken hätte mein imaginärer Hindu-Kläger ebenso gut nach dem Motto »Wenn du sie nicht besiegen kannst, schließ dich ihnen an« handeln können. Dann wäre sein Polytheismus eigentlich keiner, sondern nur ein verschleierter Monotheismus. Es gibt nur einen Gott – Gott Brahma, den Schöpfer, Gott Vishnu, den Erhalter, Gott Shiva, den Zerstörer, die Göttinnen Saraswati, Laxmi und Parvati (die Gattinnen von Brahma, Vishnu und Shiva), Gott Ganesh den Elefanten, und Hunderte andere, die alle nur verschiedene Ausdrucksformen oder Inkarnationen des einen Gottes sind.
Christen sollten sich für solche Haarspaltereien eigentlich erwärmen können. Denn ganze Ströme mittelalterlicher Tinte – von Blut ganz zu schweigen – wurden über das »Geheimnis« der Dreifaltigkeit vergossen, aber auch zur Unterdrückung von Abweichungen wie der arianischen Ketzerei. Arius von Alexandria leugnete im 4. Jahrhundert n.Chr. dass Jesus gleichen Wesens (das heißt von der gleichen Substanz oder Wesensform) sei wie Gott. Nun fragt man sich vielleicht: Was mag das bedeuten? Substanz? Was für eine »Substanz«? Was genau ist mit »Wesensform« gemeint? Die einzig vernünftige Antwort lautet anscheinend: sehr wenig. Dennoch spaltete der Streit darum die Christenheit ein volles Jahrhundert lang, und Kaiser Konstantin befahl, alle Exemplare von Arius’ Buch zu verbrennen. Haare und damit die Christenheit spalten – so hat es die Theologie schon immer gemacht.
Haben wir nun einen Gott in drei Teilen oder drei Götter in einem? Diese Frage beantwortet uns die Catholic
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