Der Gotteswahn
werden.«
Als ich Letting Go of God in einem Theater in Los Angeles sah, war ich von dieser Szene zutiefst gerührt, insbesondere als Julia im weiteren Verlauf berichtete, wie ihre Eltern auf die Nachricht von ihrer Heilung reagiert hatten:
Der erste Anruf von meiner Mutter bestand fast nur aus Geschrei. »Atheistin? ATHEISTIN?!?!«
Dann rief mein Vater an und sagte: »Du hast deine Familie verraten, deine Schule, deine Heimatstadt.« Es war, als hätte ich Staatsgeheimnisse an die Russen verkauft. Beide erklärten, sie würden nicht mehr mit mir reden. Mein Vater sagte: »Ich will nicht einmal, dass du zu meiner Beerdigung kommst.« Nachdem ich aufgelegt hatte, dachte ich: »Versucht nur, mich aufzuhalten.«
Julia Sweeneys Begabung besteht unter anderem darin, dass sie ihr Publikum gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen bringt:
Ich glaube, meine Eltern waren ein wenig enttäuscht, als ich ihnen sagte, dass ich nicht mehr an Gott glaube, aber eine Atheistin zu sein – das war etwas ganz anderes.
Dan Barker erzählt in seinem Buch Losing Faith in Faith: From Preacher to Atheist (»Wenn man den Glauben an den Glauben verliert: Vom Prediger zum Atheisten«), wie er vom engagierten, fundamentalistischen Geistlichen und eifrigen Wanderprediger nach und nach zu dem überzeugten, selbstbewussten Atheisten wurde, der er heute ist. Das Interessante dabei: Auch nachdem Barker zum Atheisten geworden war, wahrte er noch eine Zeit lang den Anschein und predigte weiterhin das Christentum, weil es der einzige Beruf war, den er kannte, und weil er sich in einem Geflecht gesellschaftlicher Verpflichtungen gefangen fühlte. Heute weiß er, dass viele andere amerikanische Geistliche in der gleichen Lage sind, sich aber nur ihm anvertrauten, nachdem sie sein Buch gelesen hatten. Sie wagen es nicht einmal, gegenüber ihren eigenen Angehörigen ihren Atheismus einzugestehen, weil sie mit so entsetzlichen Reaktionen rechnen. Barkers eigene Geschichte fand ein glücklicheres Ende. Seine Eltern waren zunächst zwar zutiefst schockiert, aber sie hörten sich seine ruhige Argumentation an und wurden schließlich selbst zu Atheisten.
Zwei Professoren einer amerikanischen Universität schrieben mir unabhängig voneinander und berichteten über ihre Eltern. Der eine erklärte, seine Mutter leide unter ständigem Kummer, weil sie um seine unsterbliche Seele fürchte. Der andere schrieb, seinem Vater sei es lieber, er wäre nie geboren worden, so fest sei seine Überzeugung, dass er, der Sohn, später auf alle Ewigkeit in der Hölle landen werde. In beiden Fällen handelte es sich um hoch gebildete Universitätsprofessoren, die in ihren Fachgebieten und ihrer Reife höchst selbstbewusst waren, und beide hatten vermutlich ihre Eltern in allen intellektuellen Fragen weit hinter sich gelassen, nur nicht in Bezug auf die Religion. Man stelle sich nur vor, was für ein Martyrium es für intellektuell weniger gefestigte Menschen sein muss, die durch Bildung und rhetorische Fähigkeiten nicht so gut gerüstet sind wie diese beiden oder wie Julia Sweeney, und die dann ihre Position gegenüber hartherzigen Angehörigen verteidigen sollen. Solche Qualen durchlebten vermutlich viele von Jill Myttons Patienten.
An einer früheren Stelle in unserem Fernsehgespräch hatte Jill die beschriebene Form der religiösen Erziehung als geistige Misshandlung bezeichnet, und auf diese Aussage kam ich später mit folgenden Worten zurück: »Sie sprechen von religiöser Misshandlung. Wenn Sie die Misshandlung, ein Kind mit einem echten Glauben an die Hölle großzuziehen, in Relation setzen sollten, wo steht sie Ihrer Ansicht nach, was die Traumatisierung angeht, im Vergleich zu sexueller Misshandlung?« Darauf erwiderte sie: »Das ist eine sehr schwierige Frage … Ich glaube, es gibt zwischen beidem große Ähnlichkeiten, denn in beiden Fällen wird Vertrauen missbraucht; dem Kind wird das Recht abgesprochen, sich frei und offen zu fühlen und normale Beziehungen zu seiner Umwelt herzustellen. […] Es ist eine Form der Diffamierung; in beiden Fällen wird in gewisser Weise das eigentliche Ich geleugnet.«
Zum Schutz der Kinder
Mein Kollege, der Psychologe Nicholas Humphrey, nahm 1997 in seiner Amnesty Lecture in Oxford das schon zitierte Sprichwort »Knüppel und Steine brechen mir die Beine, doch Worte tun mir niemals weh« als Ausgangspunkt. 155 Dass dieses Sprichwort wohl nicht immer stimme, belegten zum Beispiel die Voodoo-Anhänger auf Haiti, die
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