Der Gotteswahn
verlöscht.«
Wie die Hölle in ihrer Vorstellung auch aussehen mag, alle diese Höllenfeuer-Fans teilen offenbar die hämische Schadenfreude und Selbstgerechtigkeit derer, die genau wissen, dass sie selbst zu den Erretteten gehören. Die gleiche Einstellung vermittelt auch Thomas von Aquin, jener größte aller Theologen, in seiner Summa Theologia: »Damit die Heiligen ihr Glück und die Gnade Gottes besser genießen können, ist es ihnen gestattet, der Bestrafung der Verdammten in der Hölle zuzusehen.« Wirklich nett, der Mann. [53]
Selbst Menschen, die ansonsten völlig rational sind, empfinden unter Umständen eine sehr reale Angst vor dem Höllenfeuer. Nach meiner Fernsehdokumentation über die Religion erhielt ich neben vielen anderen Briefen auch den folgenden von einer offensichtlich intelligenten, ehrlichen Frau:
Ich habe seit meinem fünften Lebensjahr eine katholische Schule besucht und wurde von Nonnen indoktriniert, die mit Lederriemen, Stöcken und Knüppeln zu Werke gingen. Während meiner Pubertät las ich Darwin, und was er über Evolution zu sagen hatte, erschien dem logischen Teil meines Geistes absolut sinnvoll. Aber ich habe während meines Lebens viele Konflikte durchlitten, und ganz tief in mir wird häufig die Furcht vor dem Höllenfeuer geweckt. Ich habe eine Psychotherapie gemacht und konnte dort einen Teil meiner früheren Probleme aufarbeiten, aber dieser tief sitzenden Angst werde ich einfach nicht Herr.
Deshalb schreibe ich Ihnen mit der Bitte, ob Sie mir Namen und Adresse der Therapeutin nennen können, die Sie diese Woche in Ihrer Sendung interviewt haben und die sich speziell mit solchen Ängsten beschäftigt.
Ich war von dem Brief sehr gerührt und antwortete (wobei ich ein kurzfristiges, schändliches Bedauern darüber unterdrückte, dass es für Nonnen keine Hölle gibt); ich schrieb ihr, sie solle sich auf ihre Vernunft verlassen, denn diese sei ein großes Geschenk, das sie – im Gegensatz zu Menschen, die weniger Glück hatten – offensichtlich besitze. Ich äußerte die Vermutung, Priester und Nonnen würden die Hölle deshalb so extrem entsetzlich darstellen, weil sie einen Ausgleich für ihre mangelnde Plausibilität schaffen wollten. Wäre die Hölle plausibel, müsste sie nur mäßig unangenehm sein, um ihre Abschreckungswirkung zu erzielen. Aber da ihre Existenz so unwahrscheinlich ist, muss man sie als besonders beängstigend zeichnen, um einen Ausgleich für die fehlende Plausibilität zu schaffen und ihr einen gewissen Abschreckungswert zu erhalten. Außerdem stellte ich den Kontakt zu der erwähnten Therapeutin Jill Mytton her, einer reizenden, zutiefst aufrichtigen Frau, die ich vor der Kamera befragt hatte. Jill war selbst in einer ganz besonders anrüchigen Sekte namens Exclusive Brethren aufgewachsen; die Gruppe war so unangenehm, dass sogar eine ganze Website (www.peebs.net) sich mit der Fürsorge für Menschen beschäftigt, die ihr entkommen sind.
Jill Mytton war mit der Angst vor der Hölle groß geworden und hatte sich als Erwachsene vom Christentum abgewandt; heute berät und therapiert sie andere, die in ihrer Kindheit ähnlich traumatisiert wurden: »Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, war Angst das beherrschende Element. Es war die Angst vor Zurückweisung in der Gegenwart, aber auch vor der ewigen Verdammnis. Für ein Kind sind Bilder von Höllenfeuer und Zähneklappern sehr real. Sie haben nichts Metaphorisches.«
Dann erkundigte ich mich, was man ihr als Kind nun tatsächlich über die Hölle erzählt hätte. Die Antwort bewegte mich ebenso stark wie ihr Gesichtsausdruck während das langen Zögerns, bevor sie antwortete: »Es ist schon seltsam, oder? Nach so langer Zeit kann es mich immer noch … betroffen machen, … wenn Sie … wenn Sie mir diese Frage stellen. Die Hölle ist ein schrecklicher Ort. Die völlige Zurückweisung durch Gott. Die völlige Verurteilung. Da gibt es echtes Feuer, echte Qualen, echte Foltern, und das geht immer so weiter und es gibt kein Entrinnen.«
Im weiteren Verlauf erzählte sie mir, dass sie Selbsthilfegruppen für Menschen leitet, die eine ähnliche Kindheit hinter sich haben wie sie selbst. Ausführlich erklärte sie, wie schwer es vielen Leuten fällt, so etwas hinter sich zu lassen: »Das Hinter-sich-Lassen ist außerordentlich schwierig. Man lässt ein ganzes soziales Netzwerk zurück, ein ganzes System, in dem man mehr oder weniger groß geworden ist, und ein Glaubenssystem, von dem man jahrelang
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