Der Gotteswahn
überzeugt war. Sehr oft lässt man auch Angehörige und Freunde zurück … Für die existiert man eigentlich nicht mehr.« Hier konnte ich meine eigenen Erfahrungen beisteuern – Briefe von Menschen in den Vereinigten Staaten, die mir berichteten, wie sie meine Bücher gelesen und anschließend ihre Religion aufgegeben hatten. Das Bedrückende dabei: Viele erklärten, sie hätten es nicht gewagt, ihren Angehörigen etwas davon zu sagen; oder aber sie hätten es der Familie gesagt und das habe schreckliche Folgen gehabt. Das folgende Schreiben ist typisch. Es stammt von einem jungen amerikanischen Medizinstudenten:
Ich habe das Bedürfnis, Ihnen eine E-Mail zu schreiben, denn ich teile Ihre Ansicht über die Religion, eine Ansicht, die, wie Sie sicher wissen, in Amerika einsam macht. Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen, und obwohl ich mich beim Gedanken an Religion nie ganz wohl gefühlt habe, hatte ich erst vor kurzem den Mut, es jemandem zu sagen. Dieser Jemand war meine Freundin, und sie war … entsetzt. Dass die Erklärung, man sei Atheist, schockierend wirken kann, ist mir klar, aber seither ist es, als würde sie in mir einen völlig anderen Menschen sehen. Sie sagt, sie könne kein Vertrauen mehr zu mir haben, weil meine Moral nicht von Gott kommt. Ich weiß nicht, ob wir darüber hinwegkommen werden, und vor allem möchte ich meine Überzeugung nicht den anderen Menschen mitteilen, die mir nahe stehen, weil ich die gleiche Reaktion des Widerwillens fürchte. […] Ich rechne nicht damit, dass Sie mir antworten. Ich schreibe Ihnen nur, weil ich hoffe, dass Sie Mitgefühl mit mir haben und meine Frustration teilen. Stellen Sie sich vor, Sie verlieren wegen der Religion einen Menschen, den Sie geliebt haben und der Sie geliebt hat. Abgesehen davon, dass meine Freundin mich jetzt für einen gottlosen Heiden hält, haben wir hervorragend zusammengepasst. Es erinnert mich an Ihre Beobachtung, dass Menschen im Namen ihres Glaubens völlig verrückte Dinge tun. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
In meiner Antwort an den unglücklichen jungen Mann machte ich ihn darauf aufmerksam, dass nicht nur seine Freundin eine neue Seite an ihm kennen gelernt habe, sondern auch er an ihr. War sie wirklich gut genug für ihn? Ich hatte da meine Zweifel. Ich habe bereits die amerikanische Komikerin Julia Sweeney erwähnt, die sich hartnäckig und auf liebenswert-komische Weise darum bemühte, in der Religion tröstliche Aspekte zu finden und den Gott ihrer Kindheit vor den zunehmenden Zweifeln der erwachsenen Frau zu retten. Ihre Suche endete glücklich, und heute ist sie ein bewundernswertes Vorbild für Atheisten auf der ganzen Welt. Die vielleicht bewegendste Szene ihrer Show Letting Go of God (»Von Gott will ich lassen«) ist das Finale. Sie hat inzwischen alles versucht, und dann …
… als ich von meinem Büro im Hinterhof ins Haus ging, wurde mir klar, dass da in meinem Kopf eine winzig kleine leise Stimme sprach. Ich wusste nicht genau, wie lange sie schon da war, aber plötzlich wurde sie einen Tacken lauter. Sie flüsterte: »Es gibt keinen Gott.«
Ich wollte sie überhören. Aber da wurde sie wieder ein bisschen lauter. »Es gibt keinen Gott. Es gibt keinen Gott. Oh mein Gott , es gibt keinen Gott.« […]
Ich erschauderte. Es war ein Gefühl, als würde ich über Bord fallen.
Dann dachte ich: »Aber ich kann das nicht. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, nicht an Gott zu glauben. Ich brauche Gott. Ich meine, wir haben doch eine Vergangenheit.« […]
»Aber ich weiß nicht, wie man nicht an Gott glaubt. Ich weiß nicht, wie man das macht. Wie steht man dann morgens auf, wie kommt man durch den Tag?« Ich fühlte mich unausgeglichen …
Dann dachte ich: »Na gut, immer mit der Ruhe. Setzen wir mal kurz die Nicht-an-Gott-glauben-Brille auf, nur für eine Minute. Setz die Kein-Gott-Brille auf, sieh dich kurz um und nimm sie dann sofort wieder ab.« Also habe ich sie aufgesetzt und mich umgeschaut.
Es ist mir peinlich, aber ich muss berichten, dass mir erst einmal schwindelig wurde. Ich habe wirklich gedacht: »Wie bleibt die Erde denn bloß da oben am Himmel? Sie meinen, wir sausen einfach durch das Weltall? Das ist aber gefährlich!« Ich wollte hinauslaufen und die Erde auffangen, wenn sie aus dem Weltraum in meine Hände fiele.
Aber dann fiel mir ein: »Ach ja, Gravitation und Winkelimpuls sorgen dafür, dass wir vermutlich noch sehr, sehr lange um die Sonne kreisen
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