Der Gotteswahn
werden. Der Fundamentalismus indes überlegt es sich niemals anders. Fundamentalistische Christen sind leidenschaftlich gegen die Evolution, und ich bin ein leidenschaftlicher Evolutionsanhänger. Leidenschaft gegen Leidenschaft, da steht es unentschieden. Und das bedeutet nach Ansicht mancher Leute, dass wir gleichermaßen fundamentalistisch sind. Aber, um einen Aphorismus zu umschreiben, dessen Herkunft ich nicht genau ergründen konnte: Wenn zwei gegensätzliche Ansichten mit gleicher Vehemenz vertreten werden, muss die Wahrheit nicht zwangsläufig in der Mitte liegen. Möglicherweise hat die eine Seite einfach unrecht. Und das ist eine Rechtfertigung für Leidenschaft auf der Gegenseite.
Fundamentalisten wissen, was sie glauben, und sie wissen auch, dass nichts sie davon abbringen kann. Das Zitat von Kurt Wise auf Seite 472 sagt alles: »Wenn alle Belege des Universums gegen den Kreationismus sprächen, würde ich das sofort zugestehen, aber ich wäre dennoch Kreationist, weil es das ist, was Gottes Wort offenbar besagt. Hier muss ich stehen.« Man kann gar nicht genug betonen, worin der Unterschied zwischen dem leidenschaftlichen Einsatz für biblische Grundaussagen und dem ebenso leidenschaftlichen Einsatz des echten Wissenschaftlers für Belege besteht. Der Fundamentalist Kurt Wise erklärt, alle Belege des Universums könnten seine Meinung nicht ändern. Der wahre Wissenschaftler mag noch so leidenschaftlich an die Evolution »glauben«, aber er weiß genau, unter welchen Voraussetzungen er seine Ansicht ändern würde. So erwiderte J.B.S. Haldane auf die Frage, welcher Beleg denn die Evolution widerlegen würde: »Kaninchenfossilien im Präkambrium.« Ich möchte meine eigene, umgekehrte Version zu Kurt Wises Erklärung formulieren: »Wenn alle Belege im Universum für den Kreationismus sprächen, würde ich das sofort zugestehen und meine Ansichten ändern. Aber nach dem heutigen Stand der Dinge sprechen alle vorhandenen Belege (und das ist eine riesige Menge) für die Evolution. Aus diesem Grund, und allein aus diesem Grund, setze ich mich für die Evolution mit einer Leidenschaft ein, die an die Leidenschaft ihrer Gegner heranreicht. Doch meine Leidenschaft gründet sich auf Belege. Ihre Leidenschaft ist den Belegen entgegengesetzt und deshalb wahrhaft fundamentalistisch.«
Ich selbst bin Atheist, aber die Religion wird
nicht verschwinden. Wir müssen damit leben.
»Sie wollen die Religion loswerden? Na dann viel Glück! Sie glauben, Sie könnten die Religion abschaffen? Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich? Religion ist eine feste Größe. Finden Sie sich damit ab!«
Ich könnte diesen Pessimismus ertragen, wenn er in einem Ton vorgebracht würde, der etwas von Bedauern oder Besorgnis hätte. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der Tonfall klingt manchmal geradezu erleichtert. Ich halte das nicht für Masochismus. Vielmehr können wir es wahrscheinlich wieder einmal unter der Überschrift »Glauben an den Glauben« einordnen. Solche Menschen mögen selbst nicht religiös sein, aber ihnen gefällt der Gedanke, dass andere religiös sind. Damit bin ich bei der letzten Gruppe der Schlechtredner.
Ich selbst bin Atheist, aber die
Leute brauchen die Religion
»Was wollen Sie an ihre Stelle setzen? Wie wollen Sie Hinterbliebene trösten? Wie wollen Sie dem Bedarf gerecht werden?«
Welch gönnerhafte Herablassung! »Natürlich, Sie und ich, wir sind so intelligent und gebildet, wir brauchen keine Religion. Aber die normalen Leute, Kreti und Plethi, die Orwell’sche Masse, die Huxley’schen Delta- und Epsilon-Halbidioten, die brauchen die Religion.« Dabei fällt mir ein, wie ich einmal auf einer Tagung über populäre Wissenschaftsvermittlung einen Vortrag hielt und mich gegen »Wissenschaft für Dumme« aussprach. In der nachfolgenden Fragestunde erhob sich jemand im Publikum und vertrat die Ansicht, man müsse Wissenschaft für Dumme vermitteln, »um Minderheiten und Frauen zur Wissenschaft hinzuführen«. Nach seinem Tonfall zu urteilen, hielt er sich für liberal und progressiv. Ich kann mir ungefähr vorstellen, was die Frauen und »Minderheiten« im Publikum davon hielten.
Kommen wir auf das Bedürfnis der Menschen nach Trost zurück. Es ist natürlich vorhanden, aber hat es nicht etwas Kindisches, wenn wir glauben, das Universum sei uns von Rechts wegen Trost schuldig? Die Bemerkung von Isaac Asimov über die kindische Pseudowissenschaft lässt sich ebenso gut auf die Religion anwenden:
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