Der Gotteswahn
statt das Land in einem Blutbad zwischen Glaubensrichtungen zu spalten!) könnte fast aus Jeffersons eigener Feder stammen:
Wir sprechen über das säkulare Indien. […] Manche Leute glauben, das sei etwas, das sich gegen die Religion richte. Das stimmt natürlich nicht. Es bedeutet, dass ein solcher Staat alle Glaubensrichtungen gleichermaßen achtet und ihnen gleiche Möglichkeiten bietet; Indien hat eine lange Geschichte der religiösen Toleranz. […] In einem Land wie Indien, das viele Glaubensrichtungen und Religionen beherbergt, kann man echten Nationalismus ausschließlich auf der Grundlage einer säkularen Ordnung aufbauen. 28
Der deistische Gott, den man häufig mit den Gründervätern der USA in Verbindung bringt, ist sicher eine Verbesserung gegenüber dem Monster aus der Bibel. Doch leider ist die Wahrscheinlichkeit, dass er existiert oder jemals existiert hat, kaum größer. Die Gotteshypothese ist in all ihren Formen überflüssig. [4] Außerdem wird sie durch die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nahezu ausgeschlossen. Ich werde darauf im vierten Kapitel zurückkommen, nachdem ich mich im dritten mit den angeblichen Beweisen für die Existenz Gottes befasst habe. Zunächst jedoch möchte ich mich dem Agnostizismus zuwenden, einschließlich der irrigen Vorstellung, die Existenz oder Nichtexistenz Gottes sei eine Tabufrage, die für alle Zeiten außerhalb des Bereichs der Wissenschaft liege.
Die Armut des Agnostizismus
Der hemdsärmelige Oberchrist, der uns von der Kanzel meiner alten Schulkapelle herab piesackte, bekannte sich zu seinem klammheimlichen Respekt vor den Atheisten. Die hätten wenigstens den Mut, zu ihren falschen Überzeugungen zu stehen. Was dieser Prediger nicht ausstehen konnte, waren Agnostiker: sentimentale, verweichlichte, warmduschende, blässliche Ihr-Fähnchen-nach-dem-Wind-Hänger. Teils hatte er recht, doch aus einem ganz falschen Grund. Nach dem gleichen Prinzip respektierte zum Beispiel nach Angaben von Quentin de la Bedoyere der katholische Historiker Ross Williamson »den überzeugten religiös Gläubigen und auch den überzeugten Atheisten. Seine Verachtung war den rückgratlosen Wischiwaschi-Mittelmäßigen vorbehalten, die irgendwo in der Mitte herumeierten.« 29
Es ist nicht falsch, Agnostiker zu sein, wenn es weder für die eine noch für die andere Seite handfeste Belege gibt. Dann ist es die vernünftigste Position. Carl Sagan, gefragt, ob es anderswo im Universum Leben gebe, bezeichnete sich voller Stolz als Agnostiker. Als er es ablehnte, sich festzulegen, bedrängte ihn sein Gesprächspartner mit Fragen nach seinem »Bauchgefühl«. Darauf gab Sagan die unsterbliche Antwort: »Eigentlich bemühe ich mich, nicht mit dem Bauch zu denken. Man kann doch mit einem Urteil ruhig so lange warten, bis man etwas in der Hand hat.« 30 Die Frage nach außerirdischem Leben ist offen. Man kann für beide Seiten stichhaltige Argumente anführen, und da wir keine Belege besitzen, können wir nur die Wahrscheinlichkeiten in der einen oder anderen Riehtung abschätzen. Ein gewisser Agnostizismus ist die angemessene Haltung in vielen wissenschaftlichen Fragen, beispielsweise wenn es um die Ursachen des großen Aussterbens am Ende des Perm geht, das größte Artensterben der Erdgeschichte. Es könnte auf einen Meteoriteneinschlag zurückzuführen sein, wie er nach heutiger Indizienlage mit größerer Wahrscheinlichkeit das spätere Aussterben der Dinosaurier verursachte. Aber man kann sich auch mehrere andere Ursachen einzeln oder in Kombination vorstellen. In der Frage nach den Ursachen beider Aussterbeereignisse ist Agnostizismus also vernünftig. Doch wie steht es mit der Frage nach Gott? Sollten wir auch da Agnostiker sein? Dies wurde vielfach mit einem klaren Ja beantwortet, und oft schwang dabei eine Selbstsicherheit mit, die an Überheblichkeit grenzte. Ist eine solche Einstellung richtig?
Zunächst möchte ich zwei Formen des Agnostizismus unterscheiden. Ein vorübergehender pragmatischer Agnostizismus (VPA) ist das legitime Abwarten, ob es in der einen oder anderen richtung eine eindeutige Antwort gibt, zu der wir jedoch bislang mangels Belegen nicht gelangen konnten (oder auch weil wir die Belege nicht verstehen, weil wir noch keine Zeit hatten, die Belege zu lesen, usw.). VPA wäre zum Beispiel in der Frage nach dem Artensterben im Perm ein vernünftiger Standpunkt. Es gibt eine Wahrheit, und irgendwann werden wir sie hoffentlich erfahren; aber im Augenblick kennen
Weitere Kostenlose Bücher