Der Gotteswahn
wir sie noch nicht.
Es gibt aber auch eine zutiefst unvermeidliche Form des Abwartens, und die bezeichne ich als PPA (prinzipieller permanenter Agnostizismus). PPA eignet sich für Fragen, die sich nie beantworten lassen, ganz gleich, wie viele Belege wir sammeln, einfach weil die Vorstellung, es könnte Belege geben, nicht zutrifft. Die Frage liegt auf einer anderen Ebene oder in einer anderen Dimension außerhalb des Bereichs, der für Beweise zugänglich ist. Als Beispiel kann hier eine alte philosophische Kamelle dienen, die Frage, ob ein anderer die Farbe Rot genauso sieht wie man selbst. Vielleicht ist dein Rot mein Grün, vielleicht ist es auch ganz anders als alle Farben, die ich mir vorstellen kann. Dies bezeichnen Philosophen häufig als eine Frage, die sich nie beantworten lässt, ganz gleich, welche Belege vielleicht eines Tages zur Verfügung stehen. Und manche Wissenschaftler und andere Intellektuelle sind – nach meiner Überzeugung allzu eifrig – überzeugt, dass auch die Frage nach der Existenz Gottes in die für alle Zeiten unzugängliche PPA-Kategorie gehört. Wie wir noch sehen werden, ziehen sie daraus häufig den unlogischen Schluss, die Hypothese von Gottes Existenz und die Hypothese von Gottes Nichtexistenz könnten mit genau der gleichen Wahrscheinlichkeit richtig sein. Ich werde hier einen ganz anderen Standpunkt vertreten: Der Agnostizismus hinsichtlich der Existenz Gottes gehört eindeutig in die VPA-Kategorie. Entweder Gott existiert, oder er existiert nicht. Es ist eine wissenschaftliche Frage. Eines Tages werden wir die Antwort kennen, und bis es so weit ist, können wir einige sehr stichhaltige Aussagen über die Wahrscheinlichkeit machen.
In der Geistesgeschichte gibt es viele Beispiele für Fragen, von denen man früher glaubte, sie seien der Wissenschaft für alle Zeiten unzugänglich, und später wurden sie dennoch beantwortet. Der berühmte französische Philosoph Comte schrieb 1835 über die Sterne: »Wir werden nie und mit keiner Methode in der Lage sein, ihre chemische Zusammensetzung oder ihren mineralogischen Aufbau zu untersuchen.« Aber schon bevor Comte diese Worte zu Papier brachte, hatte Fraunhofer begonnen, mit seinem Spektroskop die chemische Zusammensetzung der Sonne zu analysieren. Heute widerlegen Wissenschaftler mit Spektralanalysen jeden Tag Comtes Agnostizismus und ermitteln sehr genau die chemische Zusammensetzung auch weit entfernter Sterne. 31 Ganz gleich, welche Stellung Comtes Agnostizismus einnimmt, die Geschichte mahnt zur Vorsicht: Wir sollten zumindest innehalten, bevor wir allzu laut die ewige Wahrheit des Agnostizismus verkünden. Dennoch tun viele Philosophen und Wissenschaftler mit Vergnügen genau das, wenn es um Gott geht. Das begann schon bei T.H. Huxley selbst, der den Begriff überhaupt erst erfand. 32
Huxley erklärte seine Wortschöpfung, als er sich gegen einen dadurch ausgelösten persönlichen Angriff zur Wehr setzte. Reverend Dr. Wace, der Leiter des Londoner King’s College, hatte Hohn und Spott über Huxleys »feigen Agnostizismus« ausgeschüttet:
Er mag es vorziehen, sich als Agnostiker zu bezeichnen; aber sein wirklicher Name ist älter – er ist ein Abtrünniger; das heißt, ein Ungläubiger. Das Wort »abtrünnig« trägt eine unangenehme Bedeutung. Vielleicht ist das auch richtig so. Für einen Menschen ist es unangenehm und sollte auch unangenehm sein, wenn er klar sagen muss, dass er nicht an Jesus Christus glaubt.
Huxley war nicht der Typ, der eine solche Provokation auf sich sitzen ließ. Seine 1889 verfasste Antwort war so deftig und sarkastisch, wie man es von ihm erwarten würde (auch wenn er nie seine guten Manieren vergaß: Als »Darwins Kettenhund« hatte er seine Zähne mit zivilisierter viktorianischer Ironie geschärft). Nachdem er Dr. Wace seine wohlverdiente Strafe verpasst und die Überreste begraben hatte, kam Huxley auf das Wort »Agnostiker« zurück und erläuterte, wie er darauf verfallen war. Andere, so erklärte er,
sind sich ganz sicher, dass sie eine gewisse »Gnosis« erlangt haben – dass sie das Rätsel des Daseins mehr oder weniger erfolgreich gelöst hätten; ich war mir ganz sicher, dass es mir nicht gelungen war, und gelangte zu der festen Überzeugung, dass es sich um ein unlösbares Problem handelt. Mit Hume und Kant an meiner Seite hielt ich mich nicht für voreilig, wenn ich an dieser Überzeugung festhielt. […] Also dachte ich nach und erfand eine Bezeichnung, die ich für
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