Der Gotteswahn
amerikanischen Atheisten nur erreichen, wenn sie sich richtig organisieren würden? [3] – David Mills erzählt in seinem bewundernswerten Buch Atheist Universe (»Das Universum des Atheisten«) eine Geschichte, die man in einem Roman als unrealistische Karikatur polizeilicher Heuchelei abtun würde. Ein christlicher Wunderheiler betrieb einen »Wunderkreuzzug«, der einmal im Jahr auch in Mills’ Heimatstadt kam. Der Heiler forderte unter anderem Diabetiker auf, ihr Insulin wegzuwerfen; Krebspatienten sollten die Chemotherapie aufgeben. Stattdessen sollten sie alle um ein Wunder beten. Vernünftigerweise entschloss sich Mills, eine friedliche Gegendemonstration zu organisieren und die Menschen zu warnen. Aber er machte einen Fehler: Er ging zur Polizei, teilte seine Absicht mit und bat um Polizeischutz gegen mögliche Angriffe von Anhängern des Wunderheilers. Der erste Polizist, mit dem er sprach, fragte: »Willste für ihn oder gegen ihn demonstrieren?« (womit er für oder gegen den Wunderheiler meinte). Als Mills erwiderte: »Gegen ihn«, sagte der Polizist, er werde selbst an dem Umzug des Wunderheilers teilnehmen und Mills persönlich ins Gesicht spucken, wenn er an dessen Demonstration vorüberkäme.
Daraufhin entschloss sich Mills, sein Glück bei einem zweiten Polizeibeamten zu versuchen. Dieser erklärte, wenn ein Anhänger des Wunderheilers Mills tätlich angreife, werde er Mills verhaften, weil er »Gottes Werk zu stören versuche«. Mills ging nach Hause und rief bei der Polizeistation an – in der Hoffnung, bei höheren Diensträngen auf mehr Verständnis zu treffen. Schließlich wurde er mit einem Sergeanten verbunden, der zu ihm sagte: »Geh zum Teufel, du Idiot. Kein Polizist wird einen gottverdammten Atheisten schützen. Ich hoffe, irgendjemand lässt dich schön bluten.« Diplomatische Worte waren in dieser Polizeistation offenbar ebenso Mangelware wie menschliche Freundlichkeit und Pflichtgefühl. Mills berichtet, er habe an jenem Tag mit ungefähr sieben oder acht Polizeibeamten gesprochen. Keiner war hilfsbereit, und die meisten drohten ihm unverblümt mit Gewalt.
Solche Anekdoten über Vorurteile gegen Atheisten gibt es in Hülle und Fülle, aber Margaret Downey, die Gründerin des Anti Discrimination Support Network (ADSN), zeichnet derartige Fälle mithilfe der Freethought Society of Greater Philadelphia systematisch auf. 26 Ihre Datenbank mit Vorfällen in den Kategorien Gemeinde, Schule, Arbeitsplatz, Medien, Familie und Behörden enthält Beispiele von Belästigung, Arbeitsplatzverlust, Meidung durch Angehörige und sogar Mord. 27 Angesichts ihrer dokumentierten Belege für Hass und Missverständnisse gegenüber Atheisten glaubt man ohne weiteres, dass es für einen ehrlichen Atheisten in den Vereinigten Staaten so gut wie unmöglich ist, eine Wahl zu gewinnen. Das Repräsentantenhaus besteht aus 435 Abgeordneten, der Senat hat 100 Mitglieder. Geht man davon aus, dass diese 535 Personen in ihrer Mehrzahl zu den gebildeten Bevölkerungsgruppen gehören, muss eine beträchtliche Zahl von ihnen schon aus statistischen Gründen Atheisten sein. Um gewählt zu werden, mussten sie lügen oder ihre wahren Gefühle verbergen. Wer mag es ihnen verdenken angesichts der Wählerschaft, die sie überzeugen mussten? Nach allgemeinem Dafürhalten wäre ein Bekenntnis zum Atheismus für jeden Präsidentschaftskandidaten politischer Selbstmord.
Über ein solches politisches Klima in den Vereinigten Staaten und seine Folgen wären Jefferson, Washington, Madison, Adams und all ihre Freunde entsetzt gewesen. Ob sie nun Atheisten, Agnostiker, Deisten oder Christen waren, vor den Theokraten im Washington zu Beginn des 21. Jahrhunderts wären sie erschrocken zurückgewichen. Stattdessen hätten sie sich zu den säkularen Gründervätern des postkolonialen Indien hingezogen gefühlt, insbesondere zu dem religiösen Gandhi (»Ich bin Hindu, ich bin Moslem, ich bin Jude, ich bin Christ, ich bin Buddhist!«) und zu dem Atheisten Nehru, der einmal sagte:
Das Schauspiel dessen, was man in Indien und anderswo Religion oder jedenfalls organisierte Religion nennt, hat mich mit Entsetzen erfüllt; ich habe es oft verurteilt und würde am liebsten damit aufräumen. Es steht anscheinend immer für blinden Glauben und Reaktion, Dogma und Bigotterie, Aberglauben, Ausbeutung und die Durchsetzung von Gruppeninteressen.
Nehrus Definition des säkularen Indien aus Gandhis Träumen (hätte man es doch nur verwirklicht,
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