Der Gotteswahn
zutreffend hielt: den »Agnostiker«.
Im weiteren Verlauf seines Vortrages erklärte Huxley, Agnostiker hätten keinen Glauben, auch keinen negativen:
Der Agnostizismus ist eigentlich kein Glaube, sondern eine Methode, deren Wesen die strenge Anwendung eines einzigen Prinzips ist. […] Dieses Prinzip kann man positiv so ausdrücken: Folge in Fragen des Intellekts deiner Vernunft, so weit sie dich bringt, ohne irgendwelche anderen Überlegungen zu berücksichtigen. Und negativ: Tue in Fragen des Intellekts nicht so, als seien Schlussfolgerungen, die nicht bewiesen oder beweisbar sind, sicher. Das bezeichne ich als agnostische Überzeugung: Wenn ein Mensch ganz er selbst bleiben will, soll er sich nicht schämen, dem Universum ins Gesicht zu sehen, ganz gleich, was die Zukunft für ihn noch bereithalten mag.
Das sind edle Worte für einen Wissenschaftler, und einen T.H. Huxley kritisiert man nicht leichtfertig. Aber als Huxley sich so auf die Unmöglichkeit konzentrierte, Gott zu beweisen oder zu widerlegen, ignorierte er offenbar die Abstufungen der Wahrscheinlichkeit. Die Tatsache, dass wir die Existenz von etwas weder beweisen noch widerlegen können, hebt die Existenz und Nichtexistenz dieses Etwas nicht in den gleichen Rang. Ich glaube nicht, dass Huxley mir hier widersprechen würde; als er scheinbar eine andere Ansicht vertrat, machte er nach meiner Vermutung nur einen Rückzieher und gestand einen Punkt zu, um sich einen anderen zu sichern. So etwas hat jeder von uns hier und da schon einmal getan.
Anders als Huxley vertrete ich die Ansicht, dass die Existenz Gottes eine wissenschaftliche Hypothese ist wie jede andere. Sie in der Praxis zu überprüfen ist zwar schwierig, aber sie gehört in dieselbe Kategorie des VPA wie die Kontroversen über das Artensterben am Ende von Perm oder Kreidezeit. Gottes Existenz oder Nichtexistenz ist eine wissenschaftliche Erkenntnis über das Universum, die man zumindest im Prinzip gewinnen kann, auch wenn es in der Praxis vielleicht nicht möglich ist. Wenn Gott existiert und sich entscheidet, diese Tatsache zu offenbaren, kann er selbst die Diskussion lautstark und eindeutig zu seinen Gunsten entscheiden. Und wenn Gottes Existenz nie mit Sicherheit bewiesen oder widerlegt werden kann, können wir anhand der verfügbaren Anhaltspunkte und mit unserer Vernunft zu einer Abschätzung der Wahrscheinlichkeit gelangen, die weit von 50 Prozent entfernt ist.
Nehmen wir also den Gedanken, dass es ein Spektrum von Wahrscheinlichkeiten gibt, ernst, und ordnen wir die Aussagen der Menschen über die Existenz Gottes darin zwischen den Extremen der gegensätzlichen Sicherheiten an. Es ist ein ununterbrochenes Spektrum, aber man kann es mit den folgenden sieben Punkten abbilden:
1. Stark theistisch. Gotteswahrscheinlichkeit 100 Prozent. Oder in den Worten von C.G. Jung: »Ich glaube nicht, ich weiß. «
2 . Sehr hohe Wahrscheinlichkeit knapp unter 100 Prozent. Defacto theistisch. »Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich glaube fest an Gott und führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn gibt.«
3. Höher als 50 Prozent, aber nicht besonders hoch. Fachsprachlich: agnostisch mit Neigung zum Theismus. »Ich bin unsicher, aber ich neige dazu, an Gott zu glauben.«
4. Genau 50 Prozent. Völlig unparteiischer Agnostizismus. »Gottes Existenz und Nichtexistenz sind genau gleich wahrscheinlich.«
5. Unter 50 Prozent, aber nicht sehr niedrig. Fachsprachlich: agnostisch mit Neigung zum Atheismus. »Ich weiß nicht, ob Gott existiert, aber ich bin eher skeptisch.«
6. Sehr geringe Wahrscheinlichkeit, knapp über null. De facto atheistisch. »Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Gott existiert, und führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn nicht gibt.«
7. Stark atheistisch. »Ich weiß, dass es keinen Gott gibt, und bin davon ebenso überzeugt, wie Jung ›weiß‹, dass es ihn gibt.«
Es würde mich wundern, wenn mir viele Menschen aus der Kategorie 7 begegnen würden, aber ich habe sie wegen der Symmetrie zur Kategorie 1 hinzugenommen, denn diese ist reichlich bevölkert. Es liegt in der Natur des Glaubens, dass man wie Jung in der Lage ist, eine Überzeugung ohne ausreichende Begründung zu besitzen (Jung glaubte auch, bestimmte Bücher in seinem Regal würden von selbst mit einem lauten Knall explodieren). Atheisten haben keinen Glauben, und mit Vernunft allein kann man nicht zu der totalen Überzeugung gelangen, dass
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