Der Gotteswahn
reichenden Fragen stellte: »Ach, damit verlassen wir den Bereich der Naturwissenschaft. An dieser Stelle muss ich das Wort meinem guten Freund erteilen, dem Kaplan.« Ich war damals nicht schlagfertig genug, um die Antwort zu geben, die ich später zu Papier brachte: »Aber warum dem Kaplan? Warum nicht dem Gärtner oder dem Koch?« Warum sind Naturwissenschaftler so voll kriecherischem Respekt vor den Ambitionen der Theologen – und das in Fragen, zu deren Beantwortung die Theologen sicher keine größere Qualifikation mitbringen als die Naturwissenschaftler selbst?
Einem langweiligen Klischee zufolge (das im Gegensatz zu anderen Klischees noch nicht einmal stimmt) beschäftigt sich die Naturwissenschaft mit Fragen nach dem Wie, während nur die Theologie die Voraussetzungen mitbringt, Fragen nach dem Warum zu beantworten. Was um alles in der Welt ist eine Frage nach dem Warum? Nicht jeder Satz, der mit dem Wort »Warum« beginnt, ist eine legitime Frage. Warum sind Einhörner innen hohl? Manche Fragen verdienen einfach keine Antwort. Welche Farbe hat die Abstraktion? Wie riecht die Hoffnung? Nur weil man eine Frage in einen grammatikalisch korrekten Satz kleiden kann, bedeutet das nicht, dass sie sinnvoll wäre oder ein Anrecht auf unsere ernsthafte Aufmerksamkeit hätte. Und selbst wenn es sich um eine echte Frage handelt und wenn die Naturwissenschaft sie nicht beantworten kann, heißt das noch lange nicht, dass die Religion dazu in der Lage wäre.
Vielleicht gibt es tatsächlich tiefgreifende, sinnvolle Fragen, die für alle Zeiten außerhalb des Bereiches der Naturwissenschaft liegen werden. Vielleicht klopft schon die Quantentheorie an die Tür des Unergründlichen. Aber wenn die Naturwissenschaft solche letzten Fragen nicht beantworten kann, wieso denkt dann irgendjemand, die Religion sei dazu in der Lage? Nach meiner Vermutung glaubte weder der Astronom aus Oxford noch der aus Cambridge wirklich, dass Theologen eine Qualifikation zur Beantwortung von Fragen besitzen, die für die Naturwissenschaft zu tiefschürfend sind. Ich habe vielmehr den Verdacht, dass beide Astronomen sich wieder einmal ein Bein ausrissen, um höflich zu sein: Theologen haben über nichts anderes etwas Lohnendes zu sagen; werfen wir ihnen also einen Brocken hin, dann können sie sich eine Zeit lang Gedanken über Fragen machen, die kein anderer beantworten kann und die vielleicht niemals beantwortet werden. Ich selbst glaube im Gegensatz zu meinen Astronomenfreunden nicht, dass man ihnen solche Brocken hinwerfen sollte. Ich warte noch immer auf einen stichhaltigen Grund für die Annahme, dass die Theologie (im Unterschied zu historischer Bibelkunde, Literatur usw.) überhaupt ein Forschungsgegenstand ist.
Ebenso können wir uns auch darauf einigen, dass die Berechtigung der Naturwissenschaft, uns Ratschläge über moralische Werte zu erteilen, gelinde gesagt problematisch ist. Aber will Gould wirklich der Religion das Recht zugestehen, uns zu sagen, was gut und was schlecht ist? Die Tatsache, dass sie ansonsten nichts zum Wissen der Menschheit beizutragen hat, ist kein Grund, der Religion einen Freibrief zu erteilen und Handlungsanweisungen von ihr entgegenzunehmen. Und überhaupt: Welche Religion meinen wir eigentlich? Diejenige, in der wir zufällig aufgewachsen sind? Und wenn ja, an welches Kapitel, welches Buch der Bibel sollen wir uns halten – die sind nämlich alles andere als einheitlich, und manche sind nach allen vernünftigen Maßstäben einfach widerwärtig. Wie viele von denen, die die Bibel wörtlich nehmen, haben ausreichend darin gelesen und wissen, dass die Todesstrafe nicht nur für Ehebruch vorgeschrieben ist, sondern auch für das Sammeln von Holz am Sabbat oder für freche Bemerkungen zu den Eltern? Wenn wir das Dritte und Fünfte Buch Mose (Leviticus und Deuteronomium) mit ihren vielen abwegigen Vorschriften ablehnen (was heute alle aufgeklärten Menschen tun), nach welchen Kriterien entscheiden wir dann, welche moralischen Werte einer Religion wir uns zu eigen machen? Oder sollen wir unter allen Religionen der Welt suchen, bis wir eine finden, deren ethische Lehre uns in den Kram passt? Und wenn ja, dann müssen wir erneut fragen: Nach welchen Kriterien wählen wir aus? Und wenn wir unabhängige Kriterien haben, um zwischen den Ethiken der verschiedenen Religionen zu wählen, warum lassen wir dann nicht die mittlere Instanz weg und treffen unsere ethischen Entscheidungen gleich ganz ohne Religion? Auf
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