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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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anwenden sollten, falls der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass irgendwann geeignete Belege zur Verfügung stehen, handelt es sich ausschließlich um rein wissenschaftliche Methoden. Um die entscheidende Aussage noch dramatischer zu formulieren: Angenommen, forensische Archäologen förderten aufgrund besonderer Umstände und anhand von DNA-Analysen den Beweis zutage, dass Jesus tatsächlich keinen biologischen Vater hatte, kann man sich dann vorstellen, dass die Religionsvertreter mit den Achseln zucken und auch nur annähernd etwas sagen würden wie »Na und? Naturwissenschaftliche Beweise sind in theologischen Fragen völlig bedeutungslos. Falscher Wissensbereich! Uns geht es nur um letzte Fragen und ethische Werte. Weder DNA-Analysen noch irgendwelche anderen naturwissenschaftlichen Belege haben für diese Frage so oder so die geringste Bedeutung«?
    Schon die Idee ist ein Witz. Man kann sein letztes Hemd verwetten: Sollte es einen solchen naturwissenschaftlichen Beweis geben, würden alle sich darauf stürzen und ihn lautstark verkünden. NOMA ist nur deshalb so beliebt, weil es keinen Beleg für die Gotteshypothese gibt. Sobald es auch nur den Hauch eines Indizes zugunsten des religiösen Glaubens gäbe, würden die Religionsvertreter ohne Zögern die ganze Idee von den getrennten Wissensbereichen über Bord werfen. Lassen wir ausgebuffte Theologen einmal beiseite (obwohl auch die den Unbedarften gern Wundergeschichten erzählen, um die Gemeinden zu vergrößern): Ich habe den Verdacht, dass die angeblichen Wunder für viele Gläubige der stärkste Grund des Glaubens sind; und Wunder verletzen definitionsgemäß die Gesetze der Naturwissenschaft.
    Die römisch-katholische Kirche scheint einerseits manchmal nach NOMA zu streben, aber andererseits macht sie die Vollbringung von Wundern zur unbedingten Voraussetzung für die Heiligsprechung. So ist zum Beispiel ein Kandidat für die Heiligsprechung der verstorbene belgische König – wegen seiner Haltung zur Abtreibung. Derzeit laufen ernsthafte Untersuchungen, weil man feststellen will, ob nach seinem Tod irgendwelche Wunderheilungen auf an ihn gerichtete Gebete zurückzuführen sind. Das ist kein Witz. So ist es wirklich, und es ist typisch für die Heiligengeschichten. Ich stelle mir vor, dass das ganze Getue auch den gebildeteren Kreisen innerhalb der Kirche peinlich sein muss. Warum es in der Kirche überhaupt noch Kreise gibt, die die Bezeichnung »gebildet« verdienen, ist ein mindestens ebenso großes Rätsel wie die, an denen die Theologen ihre Freude haben.
    Angesichts von Wundergeschichten hätte Gould wahrscheinlich ungefähr nach dem folgenden Muster geantwortet: Der Witz an NOMA ist doch, dass es sich um einen Deal auf Gegenseitigkeit handelt. Sobald Religion sich in das Revier der Naturwissenschaft begibt und dort mit Wundern herumpfuscht, ist sie keine Religion mehr in dem Sinn, den Gould verteidigt, und die liebenswürdige Eintracht ist dahin. Dabei bleibt aber festzuhalten, dass die wunderfreie Religion, für die Gould sich einsetzt, von den meisten praktizierenden Theisten auf Kanzel oder Gebetsteppich gar nicht mehr als Religion anerkannt würde. Sie wären davon zutiefst enttäuscht. Oder, in einer Abwandlung von Alices Bemerkung über das Buch ihrer Schwester, bevor sie ins Wunderland stürzt: Wozu ist ein Gott gut, der keine Wunder tut und keine Gebete erhört?
    Denken wir doch an Ambrose Bierces scharfsinnige Definition des Wortes »beten«: »Darum bitten, dass die Gesetze des Universums wegen eines einzigen, eingestandenermaßen unwürdigen Bittstellers außer Kraft gesetzt werden.« Manche Sportler glauben, dass Gott ihnen hilft, zu gewinnen – gegen Konkurrenten, die genau genommen seiner Gunst nicht weniger würdig sind. Autofahrer glauben, dass Gott ihnen eine Parklücke reserviert – und sie damit vermutlich einem anderen wegnimmt. Diese Art des Theismus erfreut sich einer peinlich großen Beliebtheit und lässt sich vermutlich durch nichts anderes beeindrucken als durch eine (oberflächlich) vernünftige NOMA-Idee.
    Aber folgen wir Gould ruhig einmal und stutzen wir die Religion auf eine Art nicht interventionistisches Minimum zusammen: keine Wunder, keine persönliche Kommunikation zwischen Gott und uns – weder in der einen noch in der anderen Richtung –, kein Herumpfuschen an den Gesetzen der Physik, kein Betreten des naturwissenschaftlichen Rasens. Höchstens ein bisschen deistische Mitwirkung bei den

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