Der Gotteswahn
der Gebete vollzog, meinte dazu: »Ein Mensch des Glaubens würde sagen, dass die Studie interessant ist, aber wir beten schon seit langer Zeit, und wir haben gesehen, dass Gebete wirken, wir wissen, dass sie wirken, und die Erforschung von Gebeten und Spiritualität steht noch ganz am Anfang.« Genau: Wir wissen aus unserem Glauben , dass Gebete wirken, und wenn sich diese Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegen lässt, dann machen wir einfach weiter, bis wir das Ergebnis bekommen, das wir haben wollen.
Die Neville-Chamberlain-Schule der Evolutionsanhänger
Jene Wissenschaftler, die an NOMA und der naturwissenschaftlichen Unangreifbarkeit der Gotteshypothese festhalten, haben angesichts eines typisch amerikanischen Problems, der politischen Bedrohung durch den populistischen Kreationismus, möglicherweise auch Hintergedanken. In manchen Teilen der Vereinigten Staaten steht die Naturwissenschaft nämlich im Kreuzfeuer gut organisierter, politisch hervorragend vernetzter und vor allem finanziell gut ausgestatteter Gegner; die Behandlung der Evolution im Schulunterricht ist heftig umkämpft. Da muss man es Wissenschaftlern wohl nachsehen, wenn sie sich bedroht fühlen, denn der größte Teil ihrer Forschungsmittel kommt letztlich vom Staat, und die gewählten Volksvertreter müssen nicht nur auf den gebildeten Teil der Wählerschaft Rücksicht nehmen, sondern auch auf jene, bei denen sich Unkenntnis mit Vorurteilen paart.
Als Reaktion auf solche Gefahren hat sich eine Lobby zur Verteidigung der Evolution entwickelt, die vor allem durch das National Center for Science Education (NCSE) vertreten wird. Dessen Leiterin, Eugenie Scott, eine unermüdliche Aktivistin im Dienste der Naturwissenschaft, hat 2004 selbst ein Buch mit dem Titel Evolution vs. Creationism herausgebracht. Eines der politischen Hauptziele des NCSE besteht darin, »vernünftige« religiöse Meinungen zu hofieren und zu mobilisieren: Man sucht die Nähe zu Kirchenvertretern und -vertreterinnen, die kein Problem mit der Evolution haben und sie im Zusammenhang mit ihrem Glauben für unbedeutend halten (oder darin seltsamerweise sogar eine Unterstützung sehen). Genau diese Mehrheit von Klerus, Theologen und nicht fundamentalistischen Gläubigen, denen der Kreationismus peinlich ist, weil er die Religion in Misskredit bringt, will die Lobby zur Verteidigung der Evolution ansprechen. Dabei kommt man ihnen sehr weit entgegen und macht sich die NOMA-These zu eigen – alle sind sich einig, dass die Naturwissenschaft keine Bedrohung darstelle, weil sie völlig von den Aussagen der Religion abgekoppelt sei.
Ein anderer prominenter Vertreter dieser Neville-Chamberlain-Schule der Evolutionsanhänger, wie wir sie in Anlehnung an den britischen Appeasement-Politiker der Hitler-Jahre nennen können, ist der Philosoph Michael Ruse. Er kämpft sowohl auf dem Papier als auch vor Gericht sehr energisch gegen den Kreationismus. 41 Ruse bezeichnet sich selbst als Atheisten, vertritt im Playboy aber die Ansicht:
Wir, die wir die Wissenschaft lieben, müssen uns darüber klar werden, dass der Feind unserer Feinde unser Freund ist. Allzu oft verwenden Evolutionsanhänger ihre Zeit darauf, potenzielle Verbündete zu beleidigen. Das gilt ganz besonders für die säkularen Evolutionsanhänger. Atheisten bringen lieber sympathische Christen zur Strecke, als dass sie sich gegen Kreationisten wenden. Als Johannes Paul II. in einem Brief den Darwinismus unterstützte, erklärte Richard Dawkins nur, der Papst sei ein Heuchler, er könne in der Wissenschaft nicht ehrlich sein, und ihm, Dawkins, sei ein ehrlicher Fundamentalist lieber.
Aus rein taktischer Sicht erkenne ich, wie reizvoll bei oberflächlicher Betrachtung Ruses Vergleich mit dem Kampf gegen Hitler ist: »Winston Churchill und Franklin Roosevelt mochten weder Stalin noch den Kommunismus. Aber durch den Kampf gegen Hitler wurde ihnen klar, dass sie mit der Sowjetunion zusammenarbeiten mussten. Ganz ähnlich müssen auch die Evolutionsanhänger jeglicher Couleur gegen den Kreationismus zusammenhalten.« Aber letztlich schlage ich mich doch auf die Seite meines Kollegen, des Genetikers Jerry Coyne aus Chicago, der über Ruse schrieb:
Er begreift nicht, worum es in dem Konflikt wirklich geht. Es geht nicht um Evolution gegen Kreationismus. Für Wissenschaftler wie Dawkins und Wilson [E.O. Wilson, den berühmten Biologen der Harvard University] tobt der wahre Krieg zwischen Rationalismus und Aberglauben.
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