Der Gotteswahn
Naturwissenschaft ist eine Form des Rationalismus, und Religion ist die am weitesten verbreitete Form des Aberglaubens. Der Kreationismus ist nur ein Symptom dessen, was sie als ihren größeren Feind ansehen: die Religion. Zwar kann Religion ohne Kreationismus existieren, aber einen Kreationismus ohne Religion gibt es nicht.
Eines haben die Kreationisten mit mir gemeinsam. Wie ich, aber anders als die »Chamberlain-Schule«, geben sie sich mit NOMA und ihren getrennten Wissensbereichen nicht zufrieden. Sie respektieren keineswegs ein abgegrenztes Revier der Naturwissenschaft, sondern tun nichts lieber, als darin überall ihre schmutzigen Pflöcke einzuschlagen. Und sie kämpfen auch mit schmutzigen Methoden. Überall in der amerikanischen Provinz suchen die Anwälte der Kreationisten sich für ihre Klagen gezielt bekennende Atheisten aus. Ich weiß, dass – zu meiner großen Verärgerung – auch mein Name zu solchen Zwecken benutzt wurde. Es ist eine wirksame Taktik, denn unter den zufällig ausgewählten Geschworenen sind höchstwahrscheinlich auch Personen, die in dem Glauben aufgewachsen sind, Atheisten seien Teufel in Menschengestalt, die auf einer Stufe mit Pädophilen oder »Terroristen« stehen (der heutigen Entsprechung zu den Hexen von Salem und McCarthys Kommunisten). Jeder Kreationistenanwalt, der mich in den Zeugenstand holt, kann die Jury sofort für sich gewinnen, indem er mir eine einfache Frage stellt: »Haben Ihre Kenntnisse über die Evolution Sie so beeinflusst, dass Sie Atheist geworden sind?« Darauf müsste ich Ja sagen, und ich hätte die Geschworenen gegen mich. Die juristisch korrekte Antwort dagegen müsste aus Sicht eines Säkularisten lauten: »Meine religiösen Überzeugungen oder ihr Fehlen sind meine Privatangelegenheit; sie gehen dieses Gericht nichts an und stehen in keinerlei Zusammenhang mit meiner wissenschaftlichen Arbeit.« Aber so etwas kann ich, wenn ich ehrlich bin, nicht sagen – die Gründe dafür werde ich im vierten Kapitel erläutern.
Die Journalistin Madeleine Bunting schrieb im Guardian einen Artikel mit der Überschrift »Warum die Lobby des Intelligent Design Gott für Richard Dawkins danken muss«. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass sie außer Michael Ruse noch irgendjemanden befragt hätte, und ihr Artikel könnte ebenso gut von Ruse als Ghostwriter verfasst worden sein. [9] Die Erwiderung schrieb Daniel Dennett, der völlig zu Recht Uncle Remus zitierte:
Ich finde es amüsant, dass ausgerechnet zwei Briten – Madeleine Bunting und Michael Ruse – auf eine Version einer der beliebtesten Gaunereien der amerikanischen Folklore hereingefallen sind (»Warum die Lobby des Intelligent Design Gott für Richard Dawkins danken muss«, 27. März). Als Brer Rabbit [Bruder Kaninchen] vom Fuchs gefangen wird, bettelt er: »Ach, bitte, bitte, lieber Bruder Fuchs, was du auch tust, lass mich nicht in diesen schrecklichen Dornstrauch fallen!« – wo er am Ende in Sicherheit ist, nachdem der Fuchs genau das getan hat. Wenn der amerikanische Propagandist William Dembski spöttisch an Richard Dawkins schreibt, er solle seine gute Arbeit im Sinne des Intelligent Design weiterführen, fallen Bunting und Ruse darauf herein! »Menschenskind, Bruder Fuchs, deine Behauptung, dass die Evolutionsbiologie die Idee von einem Schöpfergott widerlegt, untergräbt den Biologieunterricht, denn wenn du das lehrst, verstößt du gegen die Trennung von Kirche und Staat!« Richtig. Man sollte auch in der Physiologie sehr leise treten, denn die erklärt eine Jungfrauengeburt für unmöglich … 44
Das ganze Thema, einschließlich einer unabhängigen Anrufung von Bruder Kaninchen im Dornenstrauch, wird sehr ausführlich von dem Biologen P.Z. Myers erörtert, in dessen Pharyngula-Blog man stets auf einen messerscharfen gesunden Menschenverstand trifft. 45
Damit will ich nicht sagen, dass meine Kollegen von der Appeasement-Lobby zwangsläufig unehrlich wären. Möglicherweise glauben sie tatsächlich an die NOMA, aber ich muss mich immer wieder fragen, wie gründlich sie die Frage eigentlich durchdacht haben und wie sie die inneren Konflikte in ihrem eigenen Kopf bewältigen. Vorerst brauchen wir das Thema hier nicht weiter zu verfolgen, aber wenn man die veröffentlichten Aussagen von Naturwissenschaftlern zu religiösen Themen liest, darf man nie den politischen Zusammenhang außer Acht lassen – den surrealen Kulturkampf, der heute in den Vereinigten Staaten tobt. NOMA-artige
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