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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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    Deshalb ist selbst der Tor überzeugt, dass es zumindest im Verstehen etwas gibt, sodass man sich nichts Größeres vorstellen kann. Denn wenn er das hört, versteht er es. Und was verstanden wird, existiert im Verständnis. Und sicher kann das, wobei man sich nichts Größeres vorstellen kann, nicht allein im Verständnis existieren. Denn angenommen, es existierte nur im Verständnis allein: Dann kann man sich vorstellen, dass es auch in der Wirklichkeit existiert; welche größer ist.

    Schon der Gedanke, dass aus solchen trickreichen Wortverdrehungen großartige Schlussfolgerungen hervorgehen sollen, ist für mich eine ästhetische Beleidigung; deshalb muss ich darauf achten, dass ich mich abschätziger Worte wie »Tor« enthalte. Bertrand Russell (der kein Tor ist) sagte dazu etwas Interessantes: »Die Überzeugung zu gewinnen, dass es [das ontologische Argument] fehlerhaft sein muss, ist einfacher, als herauszufinden, wo der Fehler im Einzelnen liegt.« Russell selbst war als junger Mann für kurze Zeit davon überzeugt:

    Ich kann mich noch genau an den Augenblick erinnern. Es war an einem Tag im Jahr 1898, ich ging die Trinity Lane entlang und sah in einem Geistesblitz (oder glaubte zu sehen), dass das ontologische Argument richtig ist. Ich war losgegangen, um mir eine Dose Tabak zu kaufen; auf dem Rückweg warf ich sie plötzlich in die Luft, und als ich sie wieder auffing, rief ich aus: »Mensch Meier, das ontologische Argument stimmt!«

    Warum, so frage ich mich, sagte er sich nicht: »Mensch Meier, das ontologische Argument hört sich plausibel an! Aber ist es nicht zu schön, um wahr zu sein, dass sich eine erhabene Erkenntnis über den Kosmos aus einem einfachen Wortspiel ableitet? Vielleicht sollte ich lieber an die Arbeit gehen und es lösen. Vielleicht ist es ja ein Paradox wie das von Zenon.«
    Bekanntlich konnten die alten Griechen Zenons »Beweis« nur schwer durchschauen, dass Achill die Schildkröte niemals einholen könne. [11] Dennoch waren sie vernünftig und zogen nicht den Schluss, Achill werde tatsächlich nicht in der Lage sein, die Schildkröte einzuholen. Stattdessen bezeichneten sie es als Paradox und warteten, bis spätere Mathematikergenerationen es erklären konnten. Natürlich verstand Russell so gut wie kaum ein anderer, warum man keine Tabaksdose in die Luft werfen sollte, um damit zu feiern, dass Achill die Schildkröte nicht einholen kann. Nur, warum ließ er die gleiche Vorsicht nicht auch gegenüber dem heiligen Anselm walten? Ich denke, er war ein Atheist mit übertriebenem Gerechtigkeitssinn, der sich übereifrig desillusionieren ließ, wenn die Logik es zu verlangen schien. [12] Vielleicht liegt die Antwort aber auch in den Zeilen, die Russell 1946 schrieb, lange nachdem er das ontologische Argument durchschaut hatte:

    Die eigentliche Frage lautet: Können wir uns irgendetwas vorstellen, dessen Existenz außerhalb unserer Gedanken allein dadurch, dass wir daran denken können, beweisbar ist? Jeder Philosoph würde gern Ja sagen, denn Philosophen haben die Aufgabe, Erkenntnisse über die Welt nicht durch Beobachten, sondern durch Denken zu finden. Wenn Ja die richtige Antwort ist, gibt es eine Brücke vom reinen Denken zu den Dingen. Wenn nicht, dann nicht.
    Ich selbst hätte genau das umgekehrte Gefühl: ein automatisches, tiefes Misstrauen gegenüber jedem Gedankengang, der zu einer derart bedeutsamen Schlussfolgerung gelangt, ohne dass auch nur eine einzige Erkenntnis aus der Wirklichkeit dazu beigetragen hätte. Vielleicht zeigt das einfach nur, dass ich kein Philosoph bin, sondern Naturwissenschaftler. Philosophen haben über Jahrhunderte hinweg das ontologische Argument tatsächlich ernst genommen und sich dafür oder dagegen geäußert. Besonders klarsichtig erörtert diesen Befund der atheistische Philosoph J.L. Mackie in seinem Buch The Miracle of Theism (Das Wunder des Theismus). Und wenn ich jetzt sage, dass man einen Philosophen fast als jemanden definieren könnte, der den gesunden Menschenverstand als Antwort nicht anerkennt, so ist das durchaus als Kompliment gemeint.
    Die definitive Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises wird in der Regel den Philosophen David Hume (1711–1776) und Immanuel Kant (1724–1804] zugeschrieben. Kant erkannte die Trickkarte in Anselms Ärmel: die fragwürdige Annahme, »Existenz« sei vollkommener als »Nichtexistenz«. Der amerikanische Philosoph Norman Malcolm formulierte es so:

    Die Doktrin, Existenz sei

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