Der Gotteswahn
geblieben ist – was uns aber nicht daran hindert, uns über seine Schöpfung zu freuen.
Oder betrachten wir das Argument von der anderen Seite und stellen wir uns das vor, was meine Frau sich zu meinem Entsetzen ausmalte: Was wäre geschehen, wenn Shakespeare gezwungen gewesen wäre, im Auftrag der Kirche zu arbeiten? Mit Sicherheit wären uns Hamlet , König Lear und Macbeth versagt geblieben. Und was hätten wir im Gegenzug bekommen? Den Stoff, aus dem die Träume sind? Na, dann träumen Sie mal schön weiter!
Wenn irgendein logisches Argument die Existenz großer Kunstwerke an die Existenz Gottes bindet, dann wird es von seinen Vertretern nicht ausgesprochen. Man geht einfach davon aus, dass es offensichtlich sei, was es ganz sicher nicht ist. Vielleicht muss man darin eine andere Version des Gestaltungsarguments sehen: Schuberts musikalisches Gehirn ist ein Wunder der Unwahrscheinlichkeit, viel unwahrscheinlicher sogar als das Wirbeltierauge. Vielleicht ist es auch viel prosaischer der Neid auf das Genie. Wie kann ein anderer Mensch es wagen, so wunderschöne Musik/Dichtung/Kunst zu schaffen, wenn ich dazu nicht in der Lage bin? Da muss Gott doch nachgeholfen haben.
Das Argument des persönlichen »Erlebnisses«
Einer meiner klügeren und reiferen Studienanfängerkollegen, ein tief religiöser junger Mann, fuhr einmal zum Zelten auf eine schottische Insel. Mitten in der Nacht wurden er und seine Freundin in ihrem Zelt von der Stimme des Teufels geweckt – Satan selbst; es bestand kein Zweifel: Die Stimme war in jeder Hinsicht teuflisch. Mein Freund sollte dieses entsetzliche Erlebnis nie mehr vergessen, und es trug später neben anderen Faktoren dazu bei, dass er sich zum Priester weihen ließ. Ich war in jener Jugendzeit von der Geschichte beeindruckt und erzählte sie einmal einer Gruppe von Zoologen, die nach Feierabend in einem Pub namens »Rose and Crown« in Oxford saßen. Zufällig waren zwei erfahrene Ornithologen darunter, und die brachen in Gelächter aus. »Schwarzschnabel-Sturmtaucher!.« riefen sie vergnügt wie aus einem Mund. Einer von ihnen fügte hinzu, das diabolische Kreischen und Gackern habe dieser Spezies in verschiedenen Regionen der Erde und in unterschiedlichen Sprachen den Namen »Teufelsvogel« eingetragen.
Viele Menschen glauben an Gott, weil sie überzeugt sind, sie hätten ihn – oder einen Engel, oder eine Jungfrau im blauen Gewand – in einer Vision mit eigenen Augen gesehen. Oder sie hören ihn im eigenen Kopf sprechen. Dieses Argument des persönlichen Erlebnisses überzeugt vor allem diejenigen, die nach ihrer eigenen Behauptung ein solches Erlebnis hatten. Für alle anderen ist es das am wenigsten überzeugende, insbesondere wenn man dann noch über gewisse Kenntnisse in Psychologie verfügt.
Sie sagen, Sie hätten Gott direkt erlebt? Nun ja, manche Menschen haben auch einen rosa Elefanten erlebt, aber das beeindruckt Sie vermutlich nicht. Peter Sutcliffe, der Yorkshire Ripper, hörte ganz deutlich die Stimme Jesu; sie befahl ihm, Frauen umzubringen, und er wurde lebenslänglich eingesperrt. George W. Bush behauptet, Gott habe ihm gesagt, er solle im Irak einmarschieren (schade, dass Gott sich nicht dazu herabließ, ihm zu offenbaren, dass es dort keine Massenvernichtungswaffen gab). Menschen in psychiatrischen Kliniken halten sich für Napoleon oder Charlie Chaplin, und andere glauben, die ganze Welt habe sich gegen sie verschworen oder sie könnten anderen ihre Gedanken in den Kopf senden. Darüber machen wir uns lustig, aber wir nehmen ihre innerlich offenbarten Überzeugungen nicht ernst, vor allem weil nicht viele Menschen sie teilen. Religiöse Erlebnisse sind nur in einer Hinsicht anders:
Zahlreiche Menschen behaupten, sie hätten sie gehabt. Sam Harris war nicht übermäßig zynisch, als er in seinem Buch The End of Faith (»Das Ende des Glaubens«) schrieb:
Für Menschen, die viele Überzeugungen ohne rationale Rechtfertigung haben, gibt es verschiedene Bezeichnungen. Sind ihre Überzeugungen sehr weit verbreitet, nennen wir sie »religiös«; ansonsten sagt man gern, sie seien »verrückt«, »psychotisch« oder »wahnsinnig«. […] Geistige Gesundheit liegt eindeutig in der Anzahl. Und doch ist es nur ein historischer Zufall, dass der Glaube, der Schöpfer des Universums könne unsere Gedanken lesen, in unserer Gesellschaft als normal gilt, während es auf eine geistige Krankheit hindeutet, wenn man glaubt, er wolle uns etwas mitteilen, indem er die
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