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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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höflicher, als ich es getan hätte, denn eigentlich hatte der Interviewer einfach nur gesagt: »Wenn wir sterben, geht keines der Atome aus unserem Körper (und auch nichts von seiner Energie) verloren. Deshalb sind wir unsterblich.«
    Selbst mir ist trotz meiner langen Erfahrung nie ein derart törichtes Wunschdenken begegnet. Allerdings bin ich auf viele der wunderschönen »Beweise« gestoßen, die unter http://www.godlessgeeks.com/LINKS/GodProof.htm gesammelt wurden. Diese vergnügliche, nummerierte Liste enthält »Hunderte von Beweisen für die Existenz Gottes«. Ich zitiere hier ein amüsantes halbes Dutzend, angefangen beim Beweis Nummer 36:

    36. Argument der unvollständigen Zerstörung: Ein Flugzeug ist abgestürzt, 143 Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Aber ein Kind überlebte und trug nur Verbrennungen dritten Grades davon. Also existiert Gott.
    37. Argument der möglichen Welten: Wenn alles anders gewesen wäre, wäre alles anders. Das wäre schlecht. Also existiert Gott.
    38. Argument des reinen Willens: Ich glaube an Gott! Ja, ich glaube an Gott! Ich glaube, ich glaube, ich glaube. Ich glaube an Gott! Also existiert Gott.
    39. Argument des Unglaubens: Die Mehrheit der Weltbevölkerung besteht aus Nichtchristen. Genau das hat Satan gewollt. Also existiert Gott.
    40. Argument des Nach-Todeserlebnisses: Die Person X ist als Atheist gestorben. Jetzt erkennt sie ihren Fehler. Also existiert Gott.
    41. Argument der emotionalen Erpressung: Gott liebt dich. Wie kannst du so herzlos sein, nicht an ihn zu glauben? Also existiert Gott.

Das Argument der Schönheit

    Eine andere Gestalt in dem zuvor erwähnten Roman von Aldous Huxley beweist die Existenz Gottes, indem sie auf einem Grammofon Beethovens Streichquartett Nr. 15 in a-Moll (»Heiliger Dankgesang«) abspielt. Das mag nicht besonders überzeugend klingen, ist jedoch eine beliebte Argumentation. Ich zähle nicht mehr, wie oft ich schon die mehr oder weniger gehässige Frage gehört habe: »Aber wie erklären Sie dann, dass es Shakespeare gab?« (wobei man Shakespeare je nach persönlichem Geschmack gegen Schubert, Michelangelo usw. austauschen kann). Die Argumentation ist so bekannt, dass ich sie nicht weiter zu dokumentieren brauche. Aber nie wird ausgesprochen, welche Logik dahinter steht, und je länger man darüber nachdenkt, desto genauer erkennt man, wie heimtückisch sie ist. Natürlich sind Beethovens späte Streichquartette erhabene Kunstwerke. Das Gleiche gilt für die Sonette von Shakespeare. Sie sind erhaben, wenn es einen Gott gibt, und sie sind auch erhaben, wenn es ihn nicht gibt. Sie beweisen nicht die Existenz Gottes, sondern die Existenz Beethovens oder Shakespeares. Ein großer Dirigent soll einmal gesagt haben: »Wenn man Mozart hören kann, wozu braucht man dann noch Gott?«
    Ich war einmal »Gast der Woche« in einer britischen Radiosendung mit dem Titel Desert Island Discs. Man sollte sich acht Schallplatten aussuchen, die man mitnehmen würde, wenn man auf einer einsamen Insel ausgesetzt würde. Meine Wahl fiel unter anderem auf die Arie »Mache dich mein Herze rein« aus der Matthäuspassion von Bach. Der Interviewer konnte nicht begreifen, warum ich mir geistliche Musik aussuchte, obwohl ich nicht religiös war. Ebenso gut könnte man fragen: Wie kannst du Emily Brontës Wuthering Heights (Sturmhöhe) genießen, obwohl du genau weißt, dass es Cathy und Heathcliff nie gegeben hat?
    Ich hätte aber noch etwas hinzufügen sollen – und das sollte man immer sagen, wenn der Religion etwa das Verdienst für die Existenz der Sixtinischen Kapelle oder für Raffaels Verkündigung zugeschrieben wird. Auch große Künstler müssen ihren Lebensunterhalt verdienen und nehmen Aufträge an, wo diese zu bekommen sind. Ich habe keinen Anlass zu zweifeln, dass Raffael und Michelangelo Christen waren – zu ihrer Zeit bestand praktisch keine andere Möglichkeit –, aber das ist fast ein Zufall. Die Kirche war durch ihren gewaltigen Reichtum zur wichtigsten Mäzenin der Künste geworden. Angenommen, die Geschichte wäre anders verlaufen und Michelangelo hätte den Auftrag erhalten, die Kuppel eines riesigen Wissenschaftsmuseums auszumalen: Hätte er dann nicht etwas mindestens ebenso Inspiriertes geschaffen wie die Sixtinische Kapelle? Schade, dass wir nie Beethovens Mesozoikum-Symphonie oder die Mozart-Oper Das expandierende Universum hören werden. Und was für eine Schande, dass uns Haydns Evolutionsoratorium versagt

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