Der Gotteswahn
für Schritt aufgebaut werden konnte. Deshalb besitzt dieses Phänomen eine nicht reduzierbare Komplexität. Und daraus folgt, dass es gestaltet wurde.« Formuliert man es so, dann wird die Fragwürdigkeit einer solchen Formulierung auf Anhieb erkennbar. Jetzt braucht nur ein Wissenschaftler daherzukommen, der eine Zwischenform findet oder sich zumindest eine solche Zwischenform ausmalen kann. Und selbst wenn keine wissenschaftliche Erklärung geliefert wird, ist die Annahme, die »Gestaltung« sei eine bessere Begründung, einfach nicht logisch. Hinter der Theorie des »Intelligent Design« steht eine bequeme, defätistische Denkweise – es ist die klassische Vorstellung vom »Gott der Lücken«. Ich selbst habe sie früher einmal als Argument des persönlichen Unglaubens bezeichnet.
Angenommen, wir sehen einen wirklich guten Zaubertrick, zum Beispiel vom berühmten Magierduo Penn und Teller. Die beiden haben einen Programmpunkt, bei dem sie gleichzeitig scheinbar mit Pistolen aufeinander schießen und jeder die Kugel des anderen mit den Zähnen aufzufangen scheint. Vor dem Laden der Pistolen werden die Kugeln aufwendig mit eingekerbten Markierungen gekennzeichnet; der ganze Vorgang wird von Freiwilligen aus dem Publikum, die Erfahrung im Umgang mit Feuerwaffen haben, aus nächster Nähe beaufsichtigt; und es scheint, als wären alle Möglichkeiten für einen Trick beseitigt. Am Ende ist Tellers markierte Kugel in Penns Mund, und die von Penn landet im Mund von Teller. Nun kann ich, Richard Dawkins, mir absolut nicht vorstellen, wie hier ein Trick funktionieren soll. Das Argument des persönlichen Unglaubens ist ein Aufschrei aus den Tiefen der vorwissenschaftlichen Gehirnareale, und es zwingt mich fast zu sagen: »Das muss ein Wunder sein. Es gibt dafür keine wissenschaftliche Erklärung. Übernatürliche Mächte müssen ihre Hand im Spiel haben.«
Aber die leise Stimme der wissenschaftlichen Bildung sagt etwas anderes. Penn und Teller sind Weltklasse-Illusionisten. Es gibt eine völlig ausreichende Erklärung. Ich bin nur zu naiv, zu unaufmerksam oder zu fantasielos, deshalb komme ich nicht darauf. Das ist die richtige Reaktion auf einen Zaubertrick. Und es ist auch die richtige Reaktion auf ein biologisches Phänomen, das scheinbar von nicht reduzierbarer Komplexität ist. Menschen, die von ihrer persönlichen Verblüffung über ein Naturphänomen den Sprung zur eiligen Beschwörung des Übernatürlichen vollziehen, sind nicht besser als jene Dummköpfe, die einem Zauberkünstler beim Verbiegen eines Löffels zusehen und dann zu der Schlussfolgerung gelangen, dies sei »paranormal«.
Auf einen weiteren Gesichtspunkt weist der schottische Chemiker A. G. Cairns-Smith in seinem Buch Seven Clues to the Origin of Life (Biologische Botschaften: Eine Detektivgeschichte der Evolution) hin und bedient sich dabei der Analogie eines Torbogens. Ein frei stehender Torbogen aus grob behauenen, ohne Mörtel zusammengefügten Steinen kann durchaus ein stabiles Bauwerk sein, aber er besitzt eine nicht reduzierbare Komplexität: Zieht man nur einen Stein heraus, bricht er zusammen. Wie wurde er dann ursprünglich aufgebaut? Eine Möglichkeit bestünde darin, dass man zunächst einen festen Steinhaufen auftürmt und dann vorsichtig einen Stein nach dem anderen entfernt. Allgemeiner betrachtet gibt es viele Strukturen, die in diesem Sinn von nicht reduzierbarer Komplexität sind: Sie überleben nicht, wenn ein beliebiges Teil fehlt, aber errichtet wurden sie mithilfe eines Gerüstes, das später abgebaut wurde und jetzt nicht mehr zu sehen ist. Wenn das Bauwerk fertig ist, kann man das Gerüst gefahrlos entfernen, und die eigentliche Struktur bleibt stehen. Auch in der Evolution hatten Organe oder Strukturen, die wir heute sehen, bei irgendeinem Vorfahren vielleicht ein Gerüst, das später verschwand.
Die Vorstellung von »nicht reduzierbarer Komplexität« ist nichts Neues, der Ausdruck jedoch wurde 1996 von dem Kreationisten Michael Behe erfunden. 65 Ihm gebührt das Verdienst (wenn man es denn »Verdienst« nennen will), den Kreationismus auf ein neues Gebiet ausgeweitet zu haben: auf die Biochemie und Zellbiologie, die nach seiner Auffassung vielleicht ein besseres Revier für die Jagd auf Lücken sind als Augen oder Flügel. Sein bester Versuch an einem guten Beispiel (das dennoch ein schlechtes war) betraf den Flagellenmotor der Bakterien.
Der Flagellenmotor der Bakterien ist ein Wunder der Natur. Er treibt die einzige
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