Der Gotteswahn
frei drehbare Achse an, die man außerhalb unserer menschlichen Technik kennt. Große Tiere mit Rädern wären, denke ich, ein echter Fall von nicht reduzierbarer Komplexität – und das ist wahrscheinlich der Grund, warum es sie nicht gibt. Wie sollen Nerven und Blutgefäße das Achslager überspannen? [22] Die Flagelle ist ein fadenförmiger Propeller, mit dem das Bakterium sich seinen Weg durch das Wasser gräbt. Ich sage absichtlich »gräbt« und nicht »schwimmt«, weil Wasser sich im Größenmaßstab der Bakterien nicht – wie für uns – als Flüssigkeit anfühlt. Es wirkt eher wie Sirup, Gelee oder gar Sand, und Bakterien schwimmen darin nicht, sondern sie graben oder winden sich hindurch. Anders als die sogenannten Flagellen der Protozoen und anderer größerer Lebewesen schwingt die Bakterienflagelle nicht wie eine Peitsche hin und her, und sie bewegt sich auch nicht wie ein Ruder. Vielmehr hat sie eine echte, frei drehbare Achse, die in einem Lager rotiert und von einem bemerkenswerten kleinen Molekülmotor angetrieben wird. Auf molekularer Ebene funktioniert dieser Motor im Wesentlichen nach dem gleichen Prinzip wie die Muskeln, er erzeugt aber keine vorübergehende Kontraktion, sondern eine freie Drehung. [23] Man hat ihn treffend als kleinen Außenbordmotor bezeichnet (der allerdings nach technischen Maßstäben sehr ineffizient arbeitet – was für einen biologischen Mechanismus ungewöhnlich ist).
Ohne ein Wort der Rechtfertigung, Begründung oder Erläuterung behauptet Behe einfach, der Flagellenmotor der Bakterien sei von nicht reduzierbarer Komplexität. Da er keine Argumente zur Begründung seiner Aussage nennt, können wir zunächst einmal vermuten, dass ihn seine Fantasie im Stich gelassen hat. Weiter behauptet er, die biologische Fachliteratur habe dieses Problem nicht zur Kenntnis genommen. Wie falsch diese Behauptung ist, wurde 2005 auf drastische und (für Behe) peinliche Weise in Pennsylvania in einem Gerichtsverfahren unter dem Richter John E. Jones nachgewiesen. Dort sagte Behe als Sachverständiger zugunsten einer Gruppe von Kreationisten aus, die den Kreationismus als »Intelligent Design« im Biologielehrplan der örtlichen Schule unterbringen wollten ein Ansinnen von »atemberaubender Albernheit«, wie Richter Jones es formulierte (was dem Zitat und dem Mann dauerhaften Ruhm einbringen sollte). Wie wir noch sehen werden, war es nicht die einzige Peinlichkeit, die Behe in diesem Verfahren erdulden musste.
Der Schlüssel zum Nachweis nicht reduzierbarer Komplexität ist ganz einfach: Man muss zeigen, dass keines der Einzelteile allein von Nutzen ist. Alle gemeinsam mussten bereits an Ort und Stelle sein, bevor sie irgendeine positive Wirkung entfalten können (Behes Lieblingsvergleich ist eine Mausefalle). In Wirklichkeit finden die Molekularbiologen ohne weiteres Teile, die außerhalb des Ganzen funktionieren, und zwar sowohl beim Flagellenmotor der Bakterien als auch bei Behes anderen Beispielen für angeblich nicht reduzierbare Komplexität. Sehr gut formulierte Kenneth Miller von der Brown University die entscheidende Aussage; er ist nach meiner Einschätzung der überzeugendste Gegner des »Intelligent Design«, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil er gläubiger Christ ist. Religiösen Menschen, die mir schreiben, nachdem sie von Behe übers Ohr gehauen wurden, empfehle ich häufig Millers Buch Finding Darwin’s God (»Darwins Gott«).
Im Zusammenhang mit dem Rotationsmotor der Bakterien macht Miller auf das »Typ-III-Sekretionssystem« ( Type Three Secretory System , TTSS) aufmerksam. 66 Das TTSS dient nicht zur Erzeugung von Drehbewegungen, sondern wird von parasitisch lebenden Bakterien dazu verwendet, toxische Substanzen durch ihre Zellwand nach außen zu pumpen, um ihren Wirtsorganismus zu vergiften. In unserem menschlichen Größenmaßstab könnten wir uns vorstellen, wir würden eine Flüssigkeit durch ein Loch schütten oder pressen; aber auch hier sieht die Sache im Größenmaßstab der Bakterien anders aus. Jedes Molekül der ausgeschiedenen Substanz ist ein großes Protein mit genau festgelegter Raumstruktur, und es ist ungefähr ebenso groß wie das TTSS selbst. Es ähnelt weniger einer Flüssigkeit als vielmehr einer festen Skulptur. Die Substanz »fließt« also nicht einfach durch ein Loch, sondern jedes Molekül wird einzeln durch einen genau passend geformten Mechanismus geschleust – wie bei einem Automaten, der Spielzeuge oder Getränkeflaschen ausgibt.
Weitere Kostenlose Bücher