Der Gotteswahn
ist unsere Verteidigung gegen schreckliche, tödliche Krankheiten. Die Wissenschaftler, die diese Bücher und Artikel geschrieben haben, mühen sich im Verborgenen ab, ohne Buchtantiemen und Vortragshonorare. Ihre Anstrengungen helfen uns, schwere Gesundheitsstörungen zu bekämpfen und zu heilen. Dagegen tun Professor Behe und die ganze Intelligent-Design-Bewegung nichts, um die wissenschaftlichen oder medizinischen Kenntnisse voranzubringen. Und zukünftigen Wissenschaftlergenerationen sagen sie, sie sollten sich die Mühe nicht machen. 68
Der amerikanische Genetiker Jerry Coyne formulierte es in seiner Rezension über Behes Buch so: »Wenn die Geschichte der Naturwissenschaft uns etwas lehrt, dann dieses: Unser Unwissen ›Gott‹ zu nennen führt nirgendwohin.« Oder, in den Worten eines wortgewaltigen Bloggers, der einen von mir und Coyne verfassten Artikel im Guardian über Intelligent Design kommentierte:
Warum heißt es, Gott sei die Erklärung für irgendetwas? Er ist es nicht – er ist die Unfähigkeit zu erklären, ein Schulterzucken, ein »Ich weiß nicht«, gekleidet in Spiritualität und Rituale. Wenn wir irgendetwas auf Gott schieben, heißt das in der Regel, dass wir keine Ahnung haben, und deshalb berufen wir uns auf irgendeine unerreichbare, unerklärliche Himmelsfee. Fragt man dann, woher dieser Gott kommt, erhält man aller Wahrscheinlichkeit nach eine unbestimmte, pseudophilosophische Antwort, es habe ihn immer gegeben oder er stehe außerhalb der Natur. Womit natürlich nichts erklärt ist. 69
Der Darwinismus erweitert unser Bewusstsein auch in anderer Hinsicht. Durch Evolution entstandene Organe sind zwar vielfach elegant und leistungsfähig, sie lassen aber auch aufschlussreiche Schwachpunkte erkennen – genau wie man es erwartet, wenn sie eine Entwicklungsgeschichte hinter sich haben, und wie man es nicht erwarten würde, wenn jemand sie gezielt gestaltet hätte. Beispiele dafür habe ich in früheren Büchern erörtert, etwa den rückläufigen Kehlkopfnerv, der auf einem riesigen, verschwenderischen Umweg zu seinem Zielpunkt verläuft und damit seine Evolutionsvergangenheit verrät. Auch viele unserer Erkrankungen, von Rückenschmerzen über Leistenbruch und Gebärmuttervorfall bis zur Anfälligkeit für Nebenhöhlenentzündungen, sind eine unmittelbare Folge der Tatsache, dass wir heute aufrecht gehen, während die Form unseres Körpers sich über Hunderte von Jahrmillionen hinweg für den Gang auf allen vieren entwickelt hat. Ebenso wird unser Bewusstsein durch die Grausamkeit und Verschwendung der natürlichen Selektion erweitert. Raubtiere sind wunderschön so »gestaltet«, dass sie Beutetiere fangen können, und die Beutetiere sind ebenso schön dazu »gestaltet«, ihnen davonzulaufen. Auf welcher Seite steht nun Gott? 70
Das anthropische Prinzip: die planetare Version
Wenn Lückentheologen die Augen und Flügel, Flagellenmotoren und Immunsysteme aufgegeben haben, machen sie ihre letzte Hoffung häufig am Ursprung des Lebens fest. Evolution wurzelt in der nicht biologischen Chemie, und das scheint irgendwie eine größere Lücke zu sein als irgendein einzelner Übergang in der späteren Evolution. In einem gewissen Sinn ist die Lücke tatsächlich größer. Aber das gilt nur in einer ganz bestimmten Hinsicht und bietet den Religionsvertretern keinen Trost. Die Entstehung des Lebens musste sich nur einmal ereignen. Deshalb können wir den Gedanken zulassen, dass es ein sehr unwahrscheinliches Ereignis war – wie ich noch genauer darlegen werde, war es sogar um mehrere Größenordnungen unwahrscheinlicher, als den meisten Menschen klar ist. Die späteren Evolutionsschritte fanden auf mehr oder weniger ähnliche Weise unabhängig voneinander bei Millionen und Abermillionen biologischen Arten statt, und zwar ständig und immer wieder während der gesamten Erdgeschichte. Wenn wir die Evolution komplexer Lebensformen erklären wollen, können wir also nicht auf die statistischen Überlegungen zurückgreifen, die wir auf den Ursprung allen Lebens anwenden. Die Vorgänge der alltäglichen Evolution können – im Gegensatz zu dem einen Ursprung (und vielleicht einigen anderen besonderen Ereignissen) – nicht besonders unwahrscheinlich gewesen sein.
Diese Unterscheidung mag auf den ersten Blick rätselhaft erscheinen; ich muss sie näher erklären und bediene mich dazu des sogenannten anthropischen Prinzips. Diese Bezeichnung wurde 1974 von dem Mathematiker Brandon Carter
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