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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Unwissen eingesteht und sich sogar darüber freut, weil Unwissen eine Herausforderung darstellt und Anlass zu weiterer Forschung gibt. Mein Freund Matt Ridley schrieb einmal: »Die meisten Wissenschaftler finden das, was bereits entdeckt ist, langweilig. Was sie antreibt, ist das Unwissen.« Mystiker schwelgen im Geheimnisvollen und wollen, dass das Mysteriöse erhalten bleibt. Wissenschaftler schwelgen ebenfalls im Geheimnisvollen, aber aus einem anderen Grund: Es verschafft ihnen die Möglichkeit, etwas zu tun. In allgemeiner Form werde ich im achten Kapitel nochmals darauf zurückkommen, dass es zu den wirklich schlimmen Auswirkungen der Religion gehört, dass sie uns lehrt, es sei eine Tugend, sich mit dem Nichtwissen zufriedenzugeben.
    Das Eingeständnis, etwas, das vorläufig ein Rätsel bleibt, nicht zu wissen, ist ein unentbehrlicher Bestandteil guter Wissenschaft. Deshalb ist es, vorsichtig ausgedrückt, eine unglückselige Strategie der kreationistischen Propaganda, nach Lücken in den wissenschaftlichen Kenntnissen zu suchen und dann zu behaupten, man müsse sie wie selbstverständlich mit »Intelligent Design« füllen. Die folgende Unterhaltung ist hypothetisch, aber ganz und gar typisch.
    Der Kreationist sagt: »Das Ellenbogengelenk des Kleinen gefleckten Wieselfrosches besitzt eine nicht reduzierbare Komplexität. Kein Teil davon war zu irgendetwas nütze, bevor nicht das Ganze zusammengefügt war. Ich wette, Sie können sich keinen Weg vorstellen, auf dem sich der Ellenbogen des Wieselfrosches in kleinen, allmählichen Schritten entwickelt haben könnte.« Kann der Wissenschaftler darauf nicht sofort eine erschöpfende Antwort geben, zieht der Kreationist automatisch seinen Schluss: »Sehen Sie, dann hat die Alternativtheorie des ›Intelligent Design‹ recht.« Man beachte die einseitige Logik: Wenn Theorie A für einen Einzelfall keine Erklärung liefert, muss Theorie B stimmen. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, dass die Argumentation nie andersherum angewandt wird. Man fordert uns auf, uns der Alternativtheorie anzuschließen, ohne auch nur zu prüfen, ob sie in dem untersuchten Einzelfall vielleicht ebenso versagt wie die Theorie, an deren Stelle sie treten soll. Der Theorie des Intelligent Design (ID) wird ein Freibrief ausgestellt, und sie wird wie von Zauberhand von den strengen Anforderungen befreit, denen man die Evolutionstheorie unterwirft.
    Hier geht es mir aber vor allem darum, dass die kreationistische Taktik die natürliche – und sogar notwendige – Freude der Naturwissenschaftler an (vorübergehender) Unsicherheit untergräbt. Ein Naturwissenschaftler wird heute möglicherweise aus rein politischen Gründen zögern, bevor er sagt: »Hm, interessante Beobachtung. Ich frage mich, wie sich das Ellenbogengelenk bei den Vorfahren des Wieselfrosches entwickelt hat. Wieselfrösche sind nicht mein Spezialgebiet, da muss ich erst mal in die Universitätsbibliothek gehen und nachsehen. Das könnte ein interessantes Projekt für einen Doktoranden werden.« Sobald ein Naturwissenschaftler so etwas sagt – und lange bevor der Doktorand mit seinem Forschungsprojekt begonnen hat –, würde die automatisch gezogene Schlussfolgerung in einem kreationistischen Pamphlet zur Schlagzeile werden: »Wieselfrosch kann nur von Gott gestaltet worden sein.«
    Es besteht also eine unglückselige Verknüpfung zwischen der methodischen Notwendigkeit in der Naturwissenschaft, sich Bereiche des Nichtwissens als Themen der zukünftigen Forschung zu suchen, und dem Bedürfnis der ID-Vertreter, Bereiche des Nichtwissens zu suchen, um sich anschließend zum automatischen Sieger zu erklären. Gerade weil die ID-Theorie selbst keine Belege vorzuweisen hat, sondern wie ein Unkraut in den verbliebenen Lücken der naturwissenschaftlichen Kenntnisse gedeiht, steht sie in unbehaglicher Nähe zum Bedürfnis der Naturwissenschaft, eben diese Lücken als Vorspiel zu ihrer Erforschung erst einmal zu erkennen und bekannt zu machen. In dieser Hinsicht steht die Naturwissenschaft im Bündnis mit klugen Theologen wie Bonhoeffer gegen die gemeinsamen Feinde – eine naive, populistische Theologie und die Lückentheologie des Intelligent Design.
    Die Liebesbeziehung der Kreationisten zu »Lücken« bei den Fossilfunden steht symbolisch für ihre gesamte Lückentheologie. Einmal begann ich ein Kapitel über die sogenannte Kambrische Explosion mit dem Satz: »Es ist, als wären die Fossilien ohne jede

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