Der Graben: Thriller (German Edition)
nur selten ins Ausland zu fahren, und wenn, dann nur in Form von Pauschalreisen: einmal nach Guam, einmal nach Hongkong. Beides Familienurlaube in der Zeit, als die Kinder noch die Grundschule besuchten. Seufzend schaute Kitazawa zur Decke hinauf. Er fühlte sich schwer, lethargisch. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Wahrscheinlich brauchte er mal einen Tapetenwechsel.
Er ging ins Bad, spritzte sich Wasser ins Gesicht und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Dort blätterte er die Karteikarten durch, die er für jedes Mitglied der Familie Fujimura angelegt hatte, und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Bei Haruko Fujimuras Karte hielt er inne. Das Wort sprang ihm von der Seite entgegen – Südamerika. Sie war die Einzige aus der Familie, die dort gewesen war. Mehr noch, sie war allein gereist. Das war wirklich frappierend.
Haruko war die Mutter der Kinder, Kotas Frau. In den Sommerferien im August 1994 war sie allein nach Südamerika gereist. Damals war sie achtundzwanzig gewesen, schon mit Kota verheiratet, aber noch ohne Kinder. Ihr erstes Kind, Fumi, war im folgenden Jahr geboren worden. Konnte dies das Bindeglied sein, nach dem Kitazawa gesucht hatte? Das Gefühl der Lethargie schien zu verfliegen, als seine Gedanken sich zu überschlagen begannen.
Die Frage war, wo die beiden sich getroffen haben konnten. Kitazawa wusste, dass Shinichiro nur in Peru und Bolivien gewesen war; falls sie sich also begegnet waren, musste es in einem der beiden Länder gewesen sein. Da diese jedoch groß waren, musste er die Suche irgendwie eingrenzen. Er erinnerte sich, dass Shinichiro einige Bücher über die antiken Zivilisationen Südamerikas geschrieben hatte. Also würde er auf seiner Reise sicherlich eine oder mehrere der berühmten archäologischen Stätten besucht haben.
Kitazawa wusste nicht, welche antiken Ruinen es in Peru und Bolivien gab. In diesem Augenblick öffnete Toshiya die Tür und steckte den Kopf herein.
»Schau dir das mal an, Vater.« Er hielt Kitazawa einige Papiere hin.
Ohne sie zu beachten, winkte Kitazawa ihn zu sich. »Gutes Timing, Junge. Weißt du irgendetwas über die antiken Zivilisationen von Peru und Bolivien?«
»Hm? Das kommt jetzt ein bisschen plötzlich…« Toshiya durchquerte das Büro, wobei er darauf achtete, nicht an die Stapel von Papieren und Akten zu stoßen, die sich gefährlich auf dem Schreibtisch türmten.
»Ich glaube, ich habe eine Verbindung zwischen dem Vater unseres Mädels und den Fujimuras gefunden.«
»Und das hat etwas mit den Altertümern in Bolivien oder Peru zu tun?«
»So ist es.«
» Als Erstes fällt mir da diese Inkastätte ein, Machu Picchu . Peru. Aber es gibt bestimmt noch eine Menge anderer, warte.« Toshiya setzte sich vor den Computer und öffnete eine Suchmaschine.
Kitazawa sah zu, wie sein Sohn einige Webseiten aufrief, auf denen die antiken Ruinen der beiden Länder genau aufgelistet waren. Einige der Namen, die auf dem Bildschirm erschienen, kannte er: Cusco, Nazca, Machu Picchu. Sie waren wohl alle ziemlich bekannt, auch wenn er nicht viel über sie wusste. Toshiya klickte nacheinander die Seiten an und fasste ihren Inhalt für seinen Vater zusammen. Er erklärte, dass Cusco berühmt sei, weil es die Hauptstadt des Inkareiches gewesen sei, in der auch der Palast des Herrschers gestanden habe. Heute gab es dort keine eigentlichen Ruinen mehr, nur einige Steinfundamente alter Inkabauten, die größtenteils unter den jüngeren katholischen Kirchen und anderen Bauwerken der Spanier verborgen lagen. Nazca, fuhr Toshiya fort, war berühmt für die riesigen Scharrbilder, die nur aus der Luft zu sehen sind, die Nazca-Linien. Auch diese seien keine Ruinen im eigentlichen Sinne, erklärte er.
Kitazawa erinnerte sich an eine Fernsehsendung über die Wunder der Erde, in der Bilder von den Linien gezeigt worden waren: riesige Darstellungen von Spinnen, Affen, einem Kolibri. Er sah die geometrischen Formen noch genau vor sich. Die Sendung hatte verschiedene Theorien zu den Gründen der Entstehung der Bilder präsentiert, jedoch abschließend festgestellt, dass es bislang keine einhellig akzeptierte schlüssige Erklärung gab.
Machu Picchu, die Stadt im Himmel. Kitazawa wusste, dass sie allein wegen ihrer atemberaubenden Lage auf einem schroffen Bergrücken der Anden berühmt war. Die Stätte wurde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erstmals entdeckt, als ein Archäologe auf die steinernen Überreste einer verlassenen Stadt am Fuß der Anden
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