Der Graben: Thriller (German Edition)
fahren. Dabei sah er merkwürdig selbstzufrieden aus.
52
An irgendeinem Zeitpunkt vor Beginn des sechzehnten Jahrhunderts waren die Bewohner der Bergstadt Machu Picchu verschwunden. Ungefähr vierhundert Jahre später förderten Ausgrabungen etwas zutage, das sich als Massengrab mit 173 Leichen – darunter auch Kinderleichen – herausstellte. Der Hintergrund der Geschichte blieb unklar, doch eine Theorie der Archäologen lautete, dass die fliehenden Bewohner alle umgebracht hätten, durch die sie langsamer geworden wären.
Als Toshiya davon berichtete, sah Kato ihn verstört an. »Hat es etwas zu bedeuten, dass die Zahl identisch ist? Das ist doch nur ein verdammter Zufall.« Er wurde lauter. »Wer weiß, ob nicht noch mehr Leute hier auftauchen?«
Trotzdem hatte die Übereinstimmung der Zahlen allen einen Schrecken eingejagt.
Hashiba gesellte sich zu Kato und Hosakawa, die den Hang hinunterschauten. Bis vor Kurzem waren ständig weitere Leute die Wege heraufgekommen, doch jetzt war dort kein Mensch mehr zu sehen. Nichts deutete darauf hin, dass noch irgendjemand erscheinen würde. Die Zahl blieb, wie sie war.
Hier waren sie also, alle auf einem baumbestandenen Hügel, durch die Dunkelheit von allem abgeschnitten. Die Vorstellung, in den Bergen Perus eingeschlossen zu sein, fiel alles andere als schwer.
»Es ist reiner Zufall. Es hat nichts zu bedeuten.« Kato blieb eisern bei seiner Meinung.
»Schon vergessen?« Isogai hob den Zeigefinger. »Alles, was uns bisher in puncto Zahlen begegnet ist, hatte etwas zu sagen. Die Zufälle hatten alle eine Bedeutung.«
Toshiya schaute sich nervös um. Ihm war bewusst, dass er als Letzter angekommen war, und er hatte auch das Thema von Machu Picchu und dem Grab angeschnitten. »Es sind viele Frauen hier. Wissen Sie, wie viele?«, fragte er.
»Wofür soll das denn wichtig sein?«, versetzte Kato beunruhigt.
»Es ist nur, dass… Na ja, von den Leichen in Machu Picchu waren 150 weiblich.«
Die versammelten Männer schwiegen nervös. Die Verteilung auf die Geschlechter hatten sie bereits ausgezählt. Einschließlich der Kinder ergab sich exakt dieselbe Anzahl weiblicher Personen – 150.
»So viel dazu«, brach Hashiba das Schweigen, um die Atmosphäre ein wenig aufzulockern. »Wenigstens wissen wir jetzt, wohin und in welche Zeit wir gehen – nach Machu Picchu, irgendwann ins fünfzehnte oder sechzehnte Jahrhundert.« Er schaute in die Runde, doch die Männer schienen alle nicht zu wissen, wie sie reagieren sollten. Ihre Gesichter erzählten verschiedene Geschichten, doch in allen Mienen spiegelten sich Unbehagen, Angst und Zweifel.
Hashiba überlegte, was die neue Information bedeutete. Wenn ihr Ziel tatsächlich Machu Picchu war, hatten sie zumindest die Garantie, dass alle durch das Wurmloch gelangen würden. Auf die Möglichkeit, dass das Wurmloch sie weiter als nur ein paar Jahre in die japanische Vergangenheit transportieren würde, an einen vollkommen anderen Ort und in eine andere Zeit, hatte er sich vorbereitet. Außerdem hatte er Machu Picchu immer schon besuchen wollen… Wenn er schon in der Zeit zurückreisen sollte, konnte das Ziel ebenso gut auch ein interessanter Ort sein. Hashiba gab sich alle Mühe, das Ganze positiv zu sehen.
Doch er musste immer wieder an die Anzahl der in dem Grab gefundenen Leichen denken, und er konnte das ungute Gefühl, das ihn dabei beschlich, nicht abschütteln. Die Zahlen waren identisch.
»Ihre… ihre… ihre…« Toshiya machte Anstalten, etwas zu sagen, brach jedoch immer wieder ab und trat dabei jedes Mal einen Schritt zurück. Er war blass geworden.
»Toshiya, ist alles in Ordnung?«, fragte Hashiba und versuchte, ihn zu beruhigen. »Was ist los?«
»Ihre…«, stammelte Toshiya. »Ihre Arme, ihre Beine – sie wurden alle abgetrennt. Die Leichen hatten abgetrennte Gliedmaßen…«
Unter dem Schock des Gehörten standen Hashiba und das Team wie erstarrt da. Ein trockener Wind raschelte in den Bäumen über ihnen; es klang, als machte er sich irgendwie über sie lustig und lachte über ihr Unglück. Das Bild setzte sich in Hashibas Kopf fest, bevor er etwas dagegen tun konnte: abgehackte Gliedmaßen, die an kargen Berghängen verstreut lagen wie eine grausige Sammlung abgebrochener Äste.
Das Bild nagte an dem Mut, den er zusammengekratzt hatte, und er spürte, wie seine Hoffnung dahinschwand. Er versuchte, sich zusammenzunehmen, schaute die anderen an und überlegte, wer in Hörweite gewesen war. Nur Isogai,
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