Der Graben: Thriller (German Edition)
Kato und Hosokawa. Also mit ihm selbst und Toshiya nur fünf von ihnen. Kagayama sprach ein Stück entfernt mit seiner Mutter und seiner Schwester. Chris stand bei Isogai, doch er hatte nicht mehr zugehört, da alle in schnellem Japanisch geredet hatten. Isogai wiederum sah nicht aus, als wollte er die schrecklichen Informationen mit seinem Geliebten teilen.
»Sie müssen die Leichen Hunderte von Jahren nach unserem Tod gefunden haben. Vielleicht waren die Knochen einfach zu Staub zerfallen…« Hosokawas Stimme zitterte. Er stand mit verschränkten Armen da, umarmte sich selbst.
Toshiya schüttelte den Kopf. »Nein, die Gliedmaßen wurden abgetrennt, als die Menschen noch lebten.« Er hatte beschlossen, dass jeder Versuch, die Tatsachen zu verschweigen oder schönzureden, alles nur noch schlimmer machen würde.
Das war also ihr Schicksal? Die Gliedmaßen abgerissen zu bekommen und in ein Massengrab geworfen zu werden?
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt«, schrie Isogai und starrte Hashiba, Kato und Hosokawa abwechselnd an. Er begann, auf dem Boden herumzustampfen und verlor vollkommen die Beherrschung. »Das ist alles Ihre Schuld! Wir alle werden dafür bestraft, für diese Farce.«
»Und das sagt ein Wissenschaftler!«, höhnte Hosokawa. »Das ist ja wohl total unwissenschaftlich, den Zorn Gottes ins Spiel zu bringen!«
»Hör mal, du Volltrottel, soll ich dir sagen, was mit uns passieren wird?« Statt zu explodieren, grinste Isogai nur. »Wir werden geopfert. Wir reisen ins Machu Picchu des fünfzehnten Jahrhunderts zurück. Dort wird unsere eigene Dummheit uns zum Verhängnis. Wir werden unsere Rolle als Götter nicht erfüllen können, sondern uns nur den Zorn der Leute zuziehen. Einer nach dem anderen werden wir zu einem Altar gebracht, wo sie uns die Gliedmaßen abreißen. Dann werden wir in ein Massengrab geworfen. Anschließend verlassen die Leute ihre Stadt. Das ist unsere Geschichte.«
Isogais Vorhersage klang recht logisch, doch es war nur eine Interpretation. Hashiba hatte seine eigene Vorstellung davon, was sie erwartete. Sie konnten ankommen, nachdem Machu Picchu schon verlassen worden war, und nur noch die leeren Gebäude vorfinden. Mit vereinten Kräften würde es ihnen gelingen, ein neues Leben anzufangen, doch dann würde etwas passieren. Vielleicht ein Angriff eines benachbarten Stamms; sie würden gefangen genommen und getötet. Hashiba schaute zu Toshiya hinüber. »Sind Anzeichen eines Kampfes gefunden worden?«
»Nein«, erwiderte Toshiya nur.
Doch auch das sprach nicht unbedingt gegen seine Theorie. Angesichts eines weit überlegenen Gegners würden sie sich vermutlich ergeben. Vielleicht wurden sie von den Spaniern angegriffen oder von irgendeiner Macht, die nicht einmal menschlich war, von einem unbekannten Untier, einem Dämon, dem Teufel… Hashibas Gedanken wurden immer düsterer, und er stellte sich groteske Dinge vor, die den Menschen seit Urzeiten Angst gemacht hatten. Doch ob Opfer für die Götter, Angriff von außen oder Einflüsse einer bösen Macht, eins wurde schmerzlich klar: Sie alle, sämtliche 173 Personen, würden gefangen genommen und zerstückelt, und das wahrscheinlich ziemlich bald.
Hashiba erinnerte sich an buddhistische, christliche und a ndere religiöse Gemälde. Menschen flohen vor einem d unklen Schatten, der sie einen nach dem anderen aus dem Schlamm zog, kopfüber in die Luft hing und ihnen die Gliedmaßen abriss. In der finsteren Unterwelt beleuchteten hier und da Feuer die Qualen der Opfer. Darstellungen der Hölle fanden sich auf der ganzen Welt.
Die Flut der Bilder, die auf Hashiba einstürmte, war zu viel für ihn. Er sank auf die Knie, und ein erstickter Laut drang aus seiner Kehle. Ihm fiel auf, dass er unbewusst eine Gebetshaltung eingenommen hatte.
Er wusste nicht, wie viel Zeit ihnen noch blieb; womöglich nur ein paar Minuten, vielleicht auch Stunden. Doch das Ende war nahe. Er musste eine Entscheidung treffen, und zwar jetzt. Er konnte aufstehen und gehen und nicht durch das Wurmloch reisen. Doch eben dieses Wissen, dass er sich auf der Stelle entscheiden musste, setzte ihm mehr zu als seine Angst vor dem Unbekannten.
Wenn er ging und nur 172 Leute übrig blieben, würde das ausreichen, um ihr Schicksal zu verändern? Zu gehen bedeutete, dass er sich dem Phasenübergang aussetzte. Die Hölle war es so oder so. Dennoch wusste er, dass er eine Entscheidung erzwingen musste. Der eine Weg bedeutete einen langsamen, qualvollen Tod, der andere
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