Der Graben: Thriller (German Edition)

verbindet nicht ein Leben mit einem anderen, sondern Vorgänge – einen Verkehrsunfall und einen Flugzeugabsturz. Die Zahl der Opfer ist eben zufällig verschieden.
    Nun seien Sie nicht so empfindlich. Es passt gar nicht zu Ihnen, sich über das Ungleichgewicht aufzuregen. Hier geht es nicht um die Personenanzahl – es kann nicht sein, dass Sie das nicht wissen. Sind Sie ein bisschen durcheinander? Wollen Sie mir etwa sagen, wenn der Preis für das Leben Ihrer Tochter nur das Leben eines Fremden betrüge, würden Sie sich darauf einlassen, ohne mit der Wimper zu zucken? Was wäre dann, wenn es zehn wären? Oder hundert, oder tausend? Wo ziehen Sie die Grenze? Die Anzahl der geopferten Personen ändert nichts an der Entscheidung.
    So läuft das hinter den Kulissen, das ist nur nicht allgemein bekannt. Unfälle, Krankheiten, Katastrophen, Terrorismus, was Sie wollen. Es sterben immer mal wieder eine Menge Leute. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum es diese Leute getroffen hat und nicht Sie? Es kommt nicht darauf an, wen es trifft. Der Tod schlägt willkürlich zu. Es ist reiner Zufall, dass es diese Leute getroffen hat und nicht Sie. Wenn bekannt würde, was hinter den Kulissen abläuft, könnten die Menschen das nicht ertragen, das wette ich. Das Leben beruht in erster Linie darauf, dass andere geopfert werden. Die Namen und Gesichter der Opfer zu kennen, würde die Leute allerdings spielend aus der Fassung bringen. Es wäre schwierig, sich nicht das Leid der Hinterbliebenen vorzustellen. Von nichts zu wissen, erlaubt es den Leuten, ihr Leben zu leben und sich um die anderen nicht zu scheren .
    Wie Sie sicherlich wissen, steht es Ihnen frei, mich meiner Macht zu berauben. Tun Sie das aber, führt das zum Tod – zum tragischen, grausamen Tod – Ihrer geliebten Tochter. Es gibt nur einen Weg, um sie zu retten. Sie geben mir Ihre Macht, und der Mann, der Shinichiro Kuriyama ist, verschwindet für immer von der Erdoberfläche. Klar, damit die Vorgänge im Gleichgewicht bleiben, muss auch noch ein Flugzeug abstürzen, doch das ist mir vollkommen schnuppe.
    Aber bitte sterben Sie nicht einfach. Das können Sie sowieso nicht, selbst wenn Sie wollten. Sie müssen nur einfach weiterfallen.
    Shinichiro Kuriyama ist hier zu Ende. Von jetzt an leben Sie als Kota Fujimura. Sie bekommen Haruko für sich allein. Sie müssen mein Nachfolger werden, damit das hier glattgeht. Mein Abflug wird eine klaffende Lücke hinterlassen. Es ist Ihr Job, hierzubleiben und die Lücke auszufüllen. Sie sind schließlich der Einzige, der das kann, da Sie wissen, wie das Ganze funktioniert. Sie haben so viel studiert, wissen so viel über Physik. Himmel, ich renne bloß offene Türen ein, oder? Das ist Ihnen doch alles sonnenklar.
    Es ist nur so aufregend! All die Möglichkeiten, all die Dinge, die ich tun kann. In der Welt, zu der ich als Gott hinabsteige, kann ich alle möglichen hübschen Experimente durchführen. Sagen wir, ich könnte 50.000 Jahre zurückspringen, an den Punkt, an dem die Sprache gerade aufkommt, und einen selbstreferenziellen Widerspruch in das System einführen. Oder wie finden Sie die Idee, mich in die Analysis einzumischen und die Probleme mit null und der Unendlichkeit einzuführen? Je mehr die Menschen mit Sprache umgehen und die Natur beschreiben, desto widersprüchlicher würde alles werden. Jeder kleine Schritt auf dem Weg der Entwicklung würde die Schlinge um den Hals der Menschheit praktisch weiter zuziehen. Schließlich würde der Widerspruch so eklatant, dass es kein Zurück mehr gäbe. Was geschieht dann mit dem Universum? Ich wette, es gibt ein spektakuläres Feuerwerk. Allein bei der Vorstellung kriege ich einen Ständer.
    Deshalb bin ich auch so wahnsinnig dankbar, dass Sie zu mir gekommen sind. Es kann immer nur einer von uns zur gleichen Zeit Macht ausüben. Deshalb hätte ich sie gerne. Was würden Sie schon damit machen? Nur eigennütziges Zeug.
    Na ja, es ist schon spät. Ich glaube, ich mache mich mal auf den Weg. Sie können sich um alles kümmern. Bleiben Sie hier als kümmerlicher Dämon, und seien Sie ein guter Ehemann, leben Sie ein ruhiges Leben, ziehen Sie eine glückliche Familie groß und all das. Das passt zu Ihnen.
    Kotas Monolog neigte sich dem Ende zu. Saeko sah, wie er aufstand und sich die Rückseite der Hose abklopfte. Er kehrte Saeko den Rücken zu und sprach nun direkt zu der Wand, die ihn und ihren Vater trennte.
    Das ist also der Abschied. Passen Sie nur auf, dass Sie alles