Der Graben: Thriller (German Edition)
ausgewählt worden war, um an der Sendung mitzuarbeiten. Der Programmleiter und der Produzent brauchten den Schlüssel zum Haus der Fujimuras.
Und sie brauchen mich, um ihn zu beschaffen. Mich Glückspilz, Seijis Lieblingsjournalistin.
Und sie hatte gedacht, es läge an ihrer überragenden Berichterstattung. Saeko spürte, wie ihr Ego in sich zusammenfiel wie ein Luftballon, in den man mit einer Nadel gestochen hatte.
5
»Ich bringe Sie hinaus«, bot Hashiba an, als sie nach der Besprechung den Konferenzraum verließen. Gerade hatten sie den Lift verlassen, mit dem sie hinunter in den Empfangsbereich gefahren waren, da blieb Hashiba stehen und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
»Haben Sie noch ein bisschen Zeit?«, fragte er und schlug vor, einen Kaffee trinken zu gehen.
Saeko hatte es nicht eilig. Sie hatte zwar vorgehabt, auf dem Heimweg in die Bibliothek zu gehen, doch nur aus persönlichen Gründen. Feste Termine hatte sie nicht.
»Gerne«, erwiderte sie.
»Gut. Gehen wir in die Cafeteria?« Hashiba ging voraus, und Saeko hatte plötzlich den Eindruck, dass er ihr noch etwas mitteilen wollte.
Als sie an einem Tisch saßen, verbeugte er sich tief. »Es tut mir so leid«, sagte er zerknirscht.
Saeko war verblüfft. »Was denn?«, fragte sie.
»Wir haben Sie nicht nur um die Mitarbeit an diesem Projekt gebeten, um an den Hausschlüssel der Fujimuras zu kommen.«
Saeko errötete. Im Konferenzraum musste man ihr die Verärgerung angesehen haben. Es beeindruckte sie, dass Hashiba das wahrgenommen hatte. An ihrem Exmann hatte sie immer rasend gemacht, wie er ihre Signale missdeutete. Wenn sie sich über einen seiner gedankenlosen Kommentare ärgerte, schob er ihre schlechte Laune darauf, dass sie Hunger hatte und versuchte, sie zum Essen zu nötigen. Wenn ihr plötzlich die Tränen kamen, belehrte er sie mit abgedroschenen Phrasen darüber, dass sie »die Vergangenheit hinter sich lassen« müsse, und machte ihr überdeutlich, dass sie nie auf einer Wellenlänge waren.
Die Kluft zwischen ihnen schloss sich nicht. Stattdessen häuften sich die kleinen Vorfälle zu einem so großen Berg, dass sie am Ende zur Scheidung führten. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten, die Saeko denken ließen: Irgendwie ist er nicht der Richtige für mich. Tatsächlich gelang es ihrem Exmann nicht ein einziges Mal, intuitiv ihre Gefühle zu erkennen.
»Haben Sie mich zum Kaffee eingeladen, nur um mir das zu sagen?« Saeko lächelte warm, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie lehne die Einladung ab.
»Da ist noch etwas. Ich wollte erklären, warum der Schwerpunkt der Sendung sich so entwickelt hat. Glauben Sie nicht, mir wäre Ihr Gesichtsausdruck entgangen, als der Produzent davon sprach, eine Hellseherin ins Haus der Fujimuras zu bringen. Das war pure Verachtung, oder?«
»Natürlich nicht!«
»Typisch, was für ein platter, überzogener Ansatz. Das haben Sie doch gedacht, oder nicht?«
»Ganz so würde ich es nicht ausdrücken…«
In Wirklichkeit hatte Hashiba den Nagel auf den Kopf getroffen. In dem Moment, als Oki davon angefangen hatte, dass sie eine Hellseherin ins Haus der Fujimuras bringen wollten, die den Aufenthaltsort der Familie erahnen sollte, waren Saekos Schultern regelrecht herabgesackt. Wollte sie ein solches Projekt wirklich unterstützen?
»Aber das haben Sie gedacht, oder?«
»Ehrlich gesagt war es nicht das, was ich erwartet hatte.« Saeko hob beide Hände, sodass die Handflächen zu Hashiba zeigten, und schaute ihn überrascht an. Es wirkte beinahe kindisch, dass er sich über so etwas Gedanken machte, und Saeko fand es irgendwie rührend. Er gab den schwer geprüften Direktor, der gezwungen war, eine triviale Sendung zu produzieren.
»Manchmal sind es die größten Zufälle, die zum Konzept einer Sendung führen. In diesem Fall war das eindeutig so. Satoyama, Shigeta und ich haben zusammen zu Mittag gegessen, und irgendeiner kam auf das Thema der verschwundenen Familie aus Takato. Wir grübelten darüber, wie verwirrend der Fall war und was wohl der Grund für das Verschwinden der Familie sein mochte. Wir überlegten, ob es ein Thema für eine Sendung sein könnte. Und wie es der dumme Zufall wollte, tauchte genau in diesem Moment Oki auf und berichtete, dass Shigeko Torii, die berühmte Hellseherin, Interesse an dem Fall habe. Von da an ging es nur noch bergab; das Planungsteam war von der Idee regelrecht besessen. Mit anderen Worten: Das ganze Projekt gründete von Anfang an auf der
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