Der Graben: Thriller (German Edition)
Tatsache, dass es Materie gab, hing von der Existenz von Struktur ab. Es gab zwei Hauptkategorien natürlich vorkommender Strukturen. Zum einen die gesetzmäßigen Bewegungen der Himmelskörper und ihrer Gruppierungen, zum Beispiel des Sonnensystems oder der Milchstraße. Zum anderen das organische Leben an der Oberfläche eines Planeten. Diese Organismen brachten ihrerseits wieder Konstrukte hervor, vom einfachen Nest, das Vögel und Bienen bauten, bis hin zu riesigen Wolkenkratzern. Saeko und ihr Vater hatten die Entwicklung der Schöpfungen des Menschen haarklein diskutiert.
»Warum existieren die natürlichen Strukturen um uns herum?«, wiederholte Saeko.
»Weil verschiedene physikalische Konstanten über ihre Existenz bestimmen. Unzählige Parameter müssen zusammenkommen, damit ein Stern entsteht. Ein Physiker hat deren Anzahl einmal auf 10 hoch 229 geschätzt, ein anderer kam auf 10 hoch 10 hoch 123. Zwischen diesen Zahlen ist ein Riesenunterschied, doch beide sind irrsinnig groß. Viel größer als die Anzahl der Atome im Universum. Im Grunde ist die Tatsache, dass das Universum, so wie wir es kennen, existiert, nichts weniger als ein Wunder.«
Um die Struktur unseres Universums aufrechtzuerhalten, mussten unzählige Rädchen, mehr als es Atome im Universum gab, auf genau den richtigen Wert eingestellt werden. Saeko und Toshiya diskutierten verschiedene Beispiele von Materie und Leben und die Bedingungen, die für ihre Existenz notwendig waren.
»Die Frage ist: Wer hat als Erster die Feinabstimmung all dieser Rädchen vorgenommen?«
»Die Götter? Ich schätze, das ist die leichte Antwort«, schlug Toshiya vor. Die Chancen, dass auf der Erde spontan Leben entstand, waren so gering, dass sie gegen null gingen. Es schien in der Tat vernünftig zu sein, das Werk einem göttlichen Schöpfer zuzuschreiben.
»Aber die meisten Physiker halten das Universum nicht für das Werk eines höheren Wesens«, hielt Saeko dagegen.
»Natürlich nicht. Das wäre das Eingeständnis einer Niederlage. Es würde bedeuten zuzugeben, dass wir keine Ahnung haben.«
»Okay – noch ein Frage für dich, Toshiya. Was glaubst du würde passieren, wenn nur eins der Rädchen, das die Struktur des Universums aufrechterhält, verstellt wird?«
Toshiya tat so, als würde er seitwärts von seinem Stuhl am Schreibtisch fallen. »Das wäre das Ende, schätze ich. Wenn nur eins der 10 hoch 229 Rädchen falsch eingestellt wäre, würde unser Universum sich in Wohlgefallen auflösen. Es würde wahrscheinlich sofort auseinanderfallen.«
Selbst die Kräfte, die über die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne bestimmten, wurden durch komplizierte Wechselbeziehungen gesteuert. Wenn nur ein Parameter nicht stimmte, konnte das wie ein Riss im System wirken, der die Erde mitten in die Sonne schleudern und dort explodieren ließe, oder sie schlitterte von ihrer Umlaufbahn in die schwarze Unendlichkeit des Weltraums. Wenn ein Parameter der Mikrowelt aus dem Gleichgewicht geriet, konnte sich das auf die Beziehungen zwischen Protonen, Neutronen und Elektronen verheerend auswirken und Atome und Moleküle sprengen, sodass unsere Körper sofort verdampfen würden. Auf jeden Fall hing die Existenz von der Erhaltung eines sehr empfindlichen Gleichgewichts ab.
»Weißt du, was ich glaube, Toshiya? Vielleicht hört sich das für dich seltsam an, aber ich glaube, das Universum hat diese Rädchen nicht einfach eingestellt. Ich denke, die Feinabstimmung erfolgte durch ihre Wechselbeziehung zu den kognitiven Fähigkeiten des genetischen Lebens. Das Gleiche gilt für Männer und Frauen, oder? Abgesehen von der Sklaverei gibt es keine Beziehung, in der einer ganz und gar über den anderen bestimmt. Die Regeln der Beziehung zwischen Frau und Mann entwickeln sich ganz natürlich in Abhängigkeit davon, wie sie miteinander interagieren. Beide müssen… sich in der Mitte treffen…« Saeko brach ab, denn plötzlich war es ihr peinlich, wie neunmalklug sie über ein solches Thema daherredete, nachdem ihre eigene Ehe gescheitert war.
»Meinst du das anthropische Prinzip?«
»Ich glaube, ich meine die Interaktion zwischen Beobachter und Beobachtetem.«
»Wenn du es so ausdrückst, bleiben wir jedenfalls davon verschont, eine vollkommen passive Rolle einzunehmen. Es beantwortet auch die Frage, warum das Universum in mathematischen Begriffen beschrieben werden kann, obwohl die Mathematik ein Konstrukt des Menschen ist.«
»Ja. Genau. Dass das Universum in
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