Der Grabritter (German Edition)
Versammlung stattfinden, in der eine Lösung der letzten anstehenden Probleme erwartet wurde. Mit keinem Wort entschuldigte er sein Verhalten vom Morgen. Nachdem sie sich eine ganze Weile über das Gemälde unterhalten hatten, standen sie auf und gingen hinüber in das Kaminzimmer. Von den brennenden Holzscheiten schlug ihnen eine wohlige Wärme entgegen. Bice entschuldigte sich für einen Moment, um noch einmal nach ihrem Vater zu sehen. Kerner saß in einem der lederbezogenen Sessel und musterte den Conte aufmerksam. Er stand mit dem Rücken zu ihm und streckte die Hände in Richtung des Feuers. »Sagen Sie, Mr. Baranow, womit fristen Sie eigentlich Ihr Dasein? Da Sie, wie Sie andeuteten, nur eine Verkaufsprovision von dem Gemälde erhalten, gehe ich davon aus, dass Sie auch weiterhin auf Einkünfte irgendwelcher Art angewiesen sind. Ich frage das, weil mir der vertraute Umgang zwischen Ihnen und meiner Schwester durchaus nicht verborgen geblieben ist.«
Der Conte drehte sich zu Kerner um. Die schwarzen Augen sahen finster auf ihn herunter. »Ich möchte Sie warnen, Mr. Baranow. Niemals wird es eine Verbindung - welcher Art auch immer - zwischen Ihnen und ihr geben. Sie ist eine Vigiani, und das ist auch schon alles, was es dazu zu sagen gibt.« Obwohl Kerner die maßlose Arroganz dieses Mannes am liebsten auf der Stelle mit einem satten Kinnhaken beantwortet hätte, beherrschte er sich.
»Sollten Sie Ihre Schwester nicht selbst die Entscheidung über ihr Leben treffen lassen? Ich denke, dass sie sowohl alt als auch klug genug ist, um das zu können. Außerdem glaube ich kaum, dass Geld und Macht die einzigen Dinge auf der Welt sind, nach denen es sich zu streben lohnt. Viel wichtiger sind die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Liebe zueinander, die Sorge füreinander, das Vertrauen auf den anderen, die Freundschaft. Das sind die wirklich wichtigen Dinge. Aber jemand wie Sie wird das vielleicht nicht verstehen können. Ich denke in Ihrer Welt zählen solche, wenig monetären, Aspekte nicht. Ich habe mich ein wenig in Ihrer Bibliothek umgesehen und es ist mir keineswegs entgangen, mit welcher Art von Literatur Sie sich beschäftigen. Ich kenne viele dieser Werke und auch die Thesen, die darin vertreten werden. Sie sind zutiefst menschenverachtend. Sie sind ohne jede Moral . «
In den Augen des Conte blitzte es auf. Es war, als habe Kerner ein Schimpfwort gebraucht. »Moral? Sagen Sie, in welcher Welt leben Sie, Mr. Baranow? Welche Moral meinen Sie? Wem ist diese Moral verpflichtet? Doch wohl nur den Habenichtsen auf der Welt. Den Schwachen, den Krüppeln, den Nichtstuern, den Parasiten auf dieser Erde. Sie alle stehen auf den Beinen derer, denen diese Welt gehören sollte. Worin liegt ihr Nutzen? Sie sind nur unnötiger Ballast auf dem Weg zum Fortschritt. Glauben Sie allen Ernstes, dass ich ein Unmensch bin, wenn ich über diese Dinge nachdenke? Schauen Sie sich die Welt doch einmal an . Überall gibt es Hunger, Krankheiten und Leid. K önnen Sie das ändern? Ich glaube nicht. Schon gar nicht mit einer heuchlerischen Moralvorstellung, die immer nur predigt und lamentiert und uns augenscheinlich einen Schritt vorwärts , aber in Wahrheit zwei Schritte zurückbringt. Legen Sie ihre Gefühlsduselei und Ihre Subjektivität einmal ab und denken Sie sachlich und produktiv.
Die Ressourcen dieser Welt sind begrenzt. Wir müssen jetzt schon die Natur manipulieren, um auch nur halbwegs die Parasiten zu ernähren, die Sie natürlich hilfsbedürftige Menschen nennen würden. Diese , ach so armen und hilfsbedürftigen Menschen , bringen dieser Welt keinen Nutzen , sie können nichts zurückgeben. Das Gegenteil ist der Fall. Sie zerstören die Natur, auf die wir zwingend angewiesen sind. Ihre zwiespältige Moral hat eine erschreckende Konsequenz, Mr. Baranow. Sie wird die Menschheit früher oder später ins Verderben stürzen. Glauben Sie, dass die Welt eine bessere und friedlichere wird, wenn Sie die Schwachen, die Kranken und diejenigen, die von den Starken leben und ihnen ihre Kraft rauben, weiterhin mitschleppen? Das entbehrt jeder Logik. Der Schutz der Schwachen führt nur dazu, dass alle geschwächt werden. Sehen Sie sich doch nur mal die Natur an. Seit Jahrmillionen funktioniert sie. Und zwar, da werden Sie mir wohl recht geben , hervorragend. Nur die Starken konnten überleben. Erst der Mensch hat es in kurzer Zeit geschafft, dieses Zusammenspiel der Natur ins Wanken zu bringen. Mit seiner ach so gepriesenen
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