Der Grabritter (German Edition)
mich nicht, über anderen Menschen zu stehen. Ich möchte, dass du mir das glaubst.« Kerner stand auf und ging zu ihr hinüber. Zärtlich legte er seine Arme um sie. »Ich weiß, Bice, ich weiß. Ich könnte niemals eine Frau lieben, die die gleichen schrecklichen Ansichten vertritt wie dein Bruder. Aber ich liebe d ich sehr, und daher weiß ich auch genau, dass du anders bist.« Er nahm Bice‘ Gesicht in beide Hände und sah ihr in die Augen. »Bice, ... egal was auch passieren mag, daran darfst du niemals zweifeln. Versprich mir das.« Lange und leidenschaftlich küsste er sie. Erst nachdem das Feuer im Kamin schon lange verloschen war, gingen sie schlafen. Kerner bemerkte nicht, dass er auf dem Weg zu seinem Zimmer beobachtet wurde. Die Tür zur Bibliothek war nur angelehnt, und zwei Augenpaare beobachteten ihn. Nachdem er die Treppe zum ersten Stock hochgegangen war, schloss sich die Tür wieder.
52
Die Nacht über dem Comer See war neblig. Nachdem Kerner auf sein Zimmer gegangen war, hatte er mit Graf von Löwenberg telefoniert. Er sollte Samuel Rosenbaum den Eintrag aus dem Notizbuch mitteilen. Kerner war sicher, dass Sam etwas damit anfangen konnte. Dann vereinbarte er einen Treffpunkt mit dem Grabritter, an dem dieser ihm die Sachen, die er benötigte, geben konnte. Wie auch schon in der Nacht zuvor nahm Kerner den Weg über die Dachrinne nach unten. Als er wieder bei dem alten Jagdhaus ankam, war alles ruhig. Nur Jupiter und Tacita strichen, wie schon beim letzten Mal, umher. Als sie ihn bemerkten, kamen sie freudig auf Kerner zu. Er hatte schon mit ihnen gerechnet, deshalb befanden sich jetzt in seiner Tasche auch zwei große Stücke Schokolade. Gierig machten sich die beiden über die seltene Leckerei her. Kerner lief hinüber zum nahen Steilhang über dem See.
Hier war der vereinbarte Treffpunkt. Unter ihm, wo der See sein musste, lag alles im Nebel. Er nahm eine Lampe aus seiner Tasche und gab ein Signal nach unten. Es dauerte ein paar Sekunden, dann konnte er von dort ein schwaches Lichtzeichen entdecken. Er schaltete seine Lampe wieder ein und leuchtete in die Richtung, wo es zu sehen gewesen war. Plötzlich war ein lautes Surren in der Luft. Ein Stück weit hinter ihm fiel etwas ins Gras. Jupiter und Tacita sprangen auf und rannten mit lautem Bellen zu der Stelle hin. So schnell Kerner konnte, war er bei ihnen und beruhigte sie. Einen Moment lang lauschte er angestrengt. Von da, wo das Haupthaus stand, war nichts zu hören. Scheinbar hatte niemand etwas bemerkt. Kerner hob ein Päckchen auf, das dort festgebunden an einer Harpune im Gras lag. Nachdem er es losgebunden hatte, warf er die Harpune hinunter in den See. Dann öffnete er das Paket. Siegfried von Löwenberg hatte alles besorgt. Ein Seil, drei Minikameras mit Mikrofon, einen Empfänger mit Aufnahmegerät und ein paar weitere Utensilien, die vielleicht nützlich sein konnten.
Sofort machte Kerner sich ans Werk. Er ging hinüber zu dem alten Jagdhaus und nahm noch einmal die Tür in Augenschein. Sie war wie die Fenster rundherum zusätzlich mit einem Gitter aus dicken Eisenstäben gesichert. Als er sich das Schloss ansah, wusste er sofort, dass er hier nicht weiter käme. Er hatte allerdings auch gar nicht damit gerechnet, gerade dort ins Haus zu gelangen. Wieder ging er um das Haus herum. Unter dem kleinen runden Fenster im Giebel blieb er stehen und sah hinauf. Dieses Fenster hatte er schon in der letzten Nacht als Schwachstelle ausgemacht, da es nicht vergittert war. Stück für Stück sah er sich die Mauer aus groben Steinen an. Viele Vorsprünge gab es nicht. Aber er musste es versuchen. Nur langsam kam er voran. Immer wieder musste er mit seinen Händen und Füßen einen winzigen Vorsprung im Mauerwerk finden, der es ihm ermöglichte, sich entweder ein Stück daran hochzuziehen oder mit den Füßen darauf abzustützen. Nur mit großer Kraftanstrengung konnte er sich Stück für Stück nach oben arbeiten. Als er sich endlich nur noch einen Meter unterhalb des Fensters befand, war kein Vorsprung mehr zu ertasten. Kerner presste seinen Körper dicht an die die Wand. Langsam wurden seine Finger taub. Lange würde er sich so nicht mehr halten können.
Er sah nach oben. Direkt über dem Fenster waren die Dachbalken. Nach oben hin hatten sie einen Freiraum. Kerner schloss für einen Moment die Augen. Dann legte er alle Kraft in seine Zehenspitzen und ließ mit einer Hand die Mauer los. Er griff hinter sich und zog das Seil
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