Der Grabritter (German Edition)
Der Teufel soll sie holen.« Eine kurze Pause trat ein. Kerner hörte die Stimme Ferruccios. »Sie hauen ab. Ich weiß auch, warum. Siehst du das Blaulicht da unten, Vater? Es wimmelt vor Carabinieri auf dem Anwesen.« Die Stimme Donatellos wurde lauter. »Wir müssen sofort durch den Geheimgang im Keller verschwinden. Ich habe schon alle Unterlagen in eine Tasche gepackt. Also los, viel Zeit bleibt uns nicht. Es existiert noch ein Schließfach direkt hinter der Schweizer Grenze, von dem niemand etwas weiß. Den Schlüssel trage ich bei mir. Dort liegen fünf Millionen Franken in bar. Damit können wir uns vorerst nach Südamerika absetzen. Dann sehen wir weiter.« Kerner sah, wie sich einer der Schatten wieder zur Kellertreppe bewegte und sich dann plötzlich umdrehte. Ferruccios schneidende Stimme ertönte. »Das geht nicht, Vater. Wenn sie mitbekommen, dass wir nicht mehr hier unten sind, werden sie uns jagen. Wir kommen nicht weit. Du bist ein alter und kranker Mann. Du hast eine andere Aufgabe. Du musst für unseren Plan ein letztes, großes Opfer bringen. Ich muss alleine gehen, und zwar über die Via Mala.« Für einen Moment lang konnte Kerner nichts mehr hören. Dann vernahm er die gebrochene Stimme des alten Conte. » Ich weiß , mein Junge . Das ist die Sicht auf die Dinge, die ich Dich gelehrt habe. Du bist ein Mensch ohne jede Moral. Ich kenne einige solcher Männer und habe sie stets verehrt. Weil es ihnen so leicht fällt, jenseits von emotionalen Erwägungen, streng den Gesetzen der Logik folgend, ihre Entscheidungen treffen zu können. Mir ist es nie gelungen, die allerletzte Hürde zu nehmen . A uch jetzt Ferruccio, kann ich nur handeln und fühlen wie ein Vater für seinen Sohn. Ich dachte, auch für d ich sei hier der Punkt gekommen, über den d u nicht hinausgehen kannst - weil ich dein Vater bin und weil ich d ich über alles liebe. « Ferruccio unterbrach den alten Conte jäh und eilte zu ihm hinüber. A lter Narr, ich habe keine Zeit für eine Moralpredigt oder um mit d ir über väterliche Gefühle zu philosophieren. Du hast recht. Ich bin genau der, den d u aus mir gemacht hast. Dafür bin ich übrigens sehr dankbar, denn nichts kann mehr meinen Blick für das Wesentliche trüben. Mein Geist ist frei von jedem unnützen Ballast und jeder verlogenen Moral. Jetzt gib mir den Schlüssel für das Schließfach, Vater. «
Kerner sah noch , wie der alte Conte den Kopf sinken ließ und Ferruccio den Schlüssel gab. Dann sprang er von s einem Stuhl auf. Die Carabinieri im Raum erschraken und sahen Kerner verdutzt nach, als er aus dem Zimmer stürmte. Auf dem Weg nach unten schrie er durch das Treppenhaus. »Ferruccio lebt! Er geht über die Via Mala.« Mit riesigen Sätzen sprang er die Stufen herunter. Vorbei an den verdutzten Carabinieri im Flur, rannte er aus dem Haus und setzte sich in einen Wagen der Vigianis. In eine Staubwolke eingehüllt, raste er den Berg hinunter. Die Männer am Tor, die ihn aufhalten wollten, sprangen in letzter Sekunde zur Seite. Mit quietschenden Reifen bog Kerner auf die Straße und fuhr in Richtung Domaso, dem kleinen Ort am oberen Ende des Comer Sees. Von dort aus war er am Tag seiner Ankunft, zusammen mit Bice und Ramon, hoch zur Via Mala gefahren. Er kannte den Weg dorthin noch ganz genau. Vor Ferruccio musste er die alte, schmale Brücke über die Schlucht erreichen. Der Conte wollte über sie hinweg in die Schweiz gelangen. Einen großen Vorsprung konnte er nicht haben. Schließlich war er zunächst einmal zu Fuß auf der Flucht gewesen. Er musste sich also zuerst einen Wagen besorgen. Mit der schwarzen Limousine raste Kerner durch die Nacht, immer entlang des Sees in Richtung der Berge. Zwei Stunden später brachte er auf dem kleinen Schotterplateau, auf dem sie damals Pepe abgesetzt hatte, den Wagen zum Stehen. Er sprang heraus und lief hinüber zu der Schlucht, wo der schmale, steile Weg hoch zur Via Mala führte. Es war vollkommen dunkel. Kerner musste sich vorsichtig weitertasten. Ein falscher Schritt, und er würde hinab in die Tiefe stürzen. Immer weiter kletterte er den Weg hoch. Um sich herum war nur das Geräusch der tosenden Wasser zu hören, die irgendwo da unter ihm in die Tiefe stürzten.
Es dauerte fast noch einmal eine geschlagene Stunde, dann kam er endlich um die scharfe Biegung des Weges. Schemenhaft erkannte er die Umrisse der alten Brücke. Er kletterte das letzte Stück zu ihr hoch und stellte sich außer Atem an die Mauer. In alle
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