Der Grabritter (German Edition)
Richtungen ging sein Blick. Von Ferruccio Vigiani war nichts zu sehen. Kerner ging hinüber zur anderen Seite der Schlucht. Auch hier war nichts zu entdecken. Vollkommen erledigt ließ er sich an der Brücke heruntersinken und fuhr sich langsam mit der Hand durch das Gesicht. Was, wenn Ferruccio die Brücke schon passiert hatte? Dann würde er davon kommen! Kerner wartete.
Schon über eine Stunde saß er nun dort, angelehnt an die Mauer. Trotz der dicken Kutte fror er hier oben. Fast hatte er alle Hoffnung aufgegeben. Dann tauchte ein Schatten am anderen Ende der Brücke auf. Er hatte sich also nicht verrechnet. Da war er. Auf der Brücke stand Ferruccio Vigiani. Wie erstarrt stand er da und sah herüber. Langsam erhob Kerner sich. Mit ausdruckslosem Gesicht ging er auf den Conte zu. Die schwarzen Augen funkelten ihm in der Dunkelheit entgegen. Um die Schulter trug er eine prall gefüllte Tasche. Himmlers Pläne. In der Hand des Contes sah Kerner etwas aufblitzen. Es war das mächtige Damaszenerschwert der Vigianis. Einige Meter vor ihm blieb Kerner mitten auf der Brücke stehen. »Hier endet Ihr Weg, Ferruccio Vigiani. Dass Sie Ihren Vater in den Tod geschickt haben, war also völlig sinnlos. Jetzt werden Sie für alles bezahlen, was Sie mit Ihrer Gier nach Macht und Geld angerichtet haben. Geben Sie mir die Unterlagen und das Schwert. Wir werden gemeinsam zurückgehen, und ich übergebe Sie Richter Catani.« Verächtlich sah Ferruccio Kerner an.
»Ein Kuttenträger. Ein einfältiger, dummer Kuttenträger steht vor mir. Ich sehe keine Waffe in Ihrer Hand, Herr Hauptkommissar. Glauben Sie etwa, Sie könnten mich mit bloßen Händen aufhalten, Sie Narr?« Langsam hob sich das Schwert in der Hand des Conte. Die Spitze zeigte jetzt direkt auf den verhassten Hauptkommissar, der den Untergang der Vigianis zu verantworten hatte. »Sie werden diesen Ort hier nicht lebend verlassen, Kerner . Wir hatten schon oft Widersacher, die uns vernichten wollten. Einige von denen liegen dort unten in der Schlucht. Sie werden ihnen jetzt folgen.« Ansatzlos stürmte der Conte auf Kerner zu. Im letzten Moment, bevor ihn das Schwert durchbohrte, konnte er zur Seite springen. Im Fallen trat er gegen die Beine des Angreifers. Der Conte stürzte und rollte sich herum. Langsam stand Kerner wieder auf. Alle Muskeln in seinem Körper waren zum Zerreißen angespannt. Wieder kam der Conte auf ihn zu. Er holte weit aus, und die Klinge des Schwertes surrte nur wenige Millimeter über Kerners Kopf hinweg, gegen die Felswand. Funken flogen durch die Luft. Kerner fasste zu. Mit eisernem Griff umklammerte er das Handgelenk des Conte und drängte ihn Stück für Stück zurück an die Mauer der Brücke. Mit verzerrtem Gesicht sah der Conte ihn aus den schwarzen Augen heraus an. Immer weiter drückte Kerner seinen Oberkörper über die Mauer. Mit seiner freien Hand versuchte Ferruccio, sich hochzustemmen. Plötzlich ließ er das Schwert los. Für Sekundenbruchteile achtete Kerner nicht auf die andere Hand des Conte. Als er den Steinbrocken bemerkte, war es bereits zu spät. Dumpf schlug der Stein gegen seine Schläfe. Vor Kerners Augen tanzten Sterne. Er wankte zurück. Ferruccio Vigiani packte ihn und drehte ihn um. Dann gab er ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Kerner konnte sein Gleichgewicht nicht mehr halten und stürzte über die Mauer. Instinktiv schlug er beide Arme nach vorne und konnte sich gerade noch an den Steinen festhalten. Über dem Abgrund hängend, versuchte er verzweifelt, sich an der Brücke hochzuziehen. Aus vor Schmerz zusammengekniffenen Augen sah er hoch. Das Gesicht des Conte erschien. Hoch über sich hielt er einen Steinblock in den Händen, um ihn auf Kerners Kopf zu schmettern. Plötzlich traf sie ein gleißender Lichtstrahl.
Wie eine Statue stand Ferruccio Vigiani über ihm. Kerner versuchte, den Kopf etwas zu drehen. Gut fünfzig Meter von ihnen entfernt an der scharfen Biegung des Weges stand Bice de Vigiani mit einem Gewehr in der Hand. Hinter ihr hielt Ramon die Lampe, die auf die Brücke leuchtete. Bice rief etwas herüber. Es war nichts zu hören. Das Tosen der Wasser verschluckte jedes ihrer Worte. Kerner sah wieder hoch zu Ferruccio. Ein höhnisches Lachen war in seinem Gesicht zu sehen. Der Körper des Conte spannte sich erneut, und er hob den Stein höher. Kerner schloss die Augen. Wie aus weiter Ferne drang ein Schuss an sein Ohr. Als er langsam die Augen öffnete, war der Conte nicht mehr zu sehen.
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