Der Grabritter (German Edition)
bestand aus grobem Bruchstein. Er musste es versuchen. Vielleicht würde er an den Vorsprüngen genügend Halt finden. Gerade als er hinübergehen wollte, stockte er plötzlich. Er spürte einen Luftzug an seiner Hand und es schien , als würde er aus dem Brunnenschacht herauf kommen. Kerner ließ seine Handfläche über dem Schacht kreisen. Kein Zweifel. Es war ganz deutlich zu merken. Aus dem Brunnenschacht stieg ein schwacher, aber stetiger Luftstrom. Wie konnte das sein? Kerner nahm eine Taschenlampe, die er mitgenommen hatte, und lehnte sich über den Brunnenrand. Zuerst konnte er nichts sehen, aber dann entdeckte er doch etwas. Direkt unter ihm , etwas verdeckt von den Steinen, befanden sich die Lamellen einer Lüftungsklappe, die auf- und zugingen. Kerner konnte sie mit der Hand erreichen und spürte nun deutlich die austretende Luftströmung. Was sollte eine Lüftungsklappe in einem Brunnen? Es gab dafür nur eine Erklärung. Kerner drehte sich um und blickte zum Haus. Sie musste zu dem Jagdhaus gehören. Aber warum hatte das Haus eine so aufwändig versteckte Lüftungsanlage? Das war vollkommen unsinnig. Es sei denn … dieses Haus hätte einen Keller. Einen Keller, von dem niemand wissen sollte. Für Kerner war dies die einzig vernünftige Erklärung.
Ein tiefes, bedrohliches Geräusch war plötzlich hinter ihm. Kerner schloss für einen Moment die Augen. Er wusste genau, wer dort hinter ihm war und das jetzt eine einzige falsche Bewegung seinen Tod bedeuten konnte . Ganz langsam drehte er sich um. Dunkel und bedrohlich standen die beiden riesigen deutschen Doggen da. Jupiter und Tacita fletschten ihre Zähne und knurrten. Die mächtigen Reißzähne blitzten Kerner entgegen und lauernd kamen sie näher. Die Köpfe ragten hoch bis fast zu Kerners Brust. Beruhigend begann er auf die beiden einzureden. Obwohl sie ihn bereits kannten, dauerte es mehrere Minuten. Endlich gaben Jupiter und Tacita ihre Haltung auf. »Platz Tacita, Platz Jupiter!« Kerner hatte den Befehl lediglich geflüstert und ihnen dabei fest in die Augen gesehen. Die Hunde reagierten augenblicklich. Sie legten sich ins Gras und hechelten Kerner an. Er kniete sich zwischen sie und redete weiter mit beiden. Erst als sie vollkommen ruhig waren, stand er auf. Gerade wollte er hinüber zum Haus gehen, als über ihm ein eigenartiges Donnern einsetzte. Kerner sah hoch zum Himmel. Die Positionslichter eines Hubschraubers wurden erkennbar und näherten sich schnell dem Anwesen. Ferruccio Vigiani kehrte zurück.
»Verdammt! Ausgerechnet jetzt.« Kerner blieb keine Wahl. Er musste die Aktion abbrechen. Noch einmal tätschelte er den Hals der Hunde und gab ihnen zu verstehen, dass sie dort bleiben sollten. Dann sprang er auf und so schnell er konnte überquerte er den Landeplatz. Er verschwand im dichten Buschwerk. Das Donnern wurde jetzt immer lauter. Der Hubschrauber schaltete die Bodenscheinwerfer ein und setzte zur Landung an. Kerner wartete nicht länger. Er trat den Rückweg an. Auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, schlich er zurück. Im Haus brannte Licht. Von der Seite aus sah Kerner einen der Wachleute zusammen mit einem Hausangestellten. Sie gingen zu einem Unterstand in der Nähe des Hauses und kamen mit einem kleinen Elektro-Cart heraus. Dann fuhren sie in Richtung des Landeplatzes davon. Kerner ging weiter um das Haus herum, bis er unter seinem Fenster angekommen war. Ohne Mühe kletterte er die Regenrinne wieder hoch und schwang sich an der Schnur zurück zum Zimmer. Noch einmal sah er hinaus. Niemand hatte etwas bemerkt. Nachdem er das Fenster geschlossen hatte, brachte er die Schnur wieder ordentlich an dem Store an, warf sich auf sein Bett und griff zum Handy. Er musste es ein paar Mal läuten lassen. Dann meldete sich eine verschlafene Stimme am Telefon. »Ja ...?« Es war Siegfried von Löwenberg, und Kerner erzählte ihm von den Ereignissen der letzten Stunde.
Kerner brauchte ein paar Dinge, die Graf von Löwenberg ihm schnellstens besorgen musste. Nachdem er dem Grabritter eine Liste aufgezählt hatte, klappte er sein Handy zu. Er hörte noch, wie im Haus ein paar Türen gingen. Dann schlief er ein.
47
Auf den Fluren der JVA in Rheinbach ertöne das grelle Trillern einer Pfeife. Einer der Vollzugsbeamten stand in der Tür, die in die Zelle von Kommissar Merten führte. Unter der Pritsche des Untersuchungshäftlings hatte sich eine riesige Blutlache gebildet. Merten lag mit aufgeschnittener
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