Der Graf und die Diebin
Die Dame mit dem schwarzen Fächer.“
Jeanne erblickte eine mollige kleine Frau mit wasserblauen Augen und einem breiten unschönen Gesicht. Sie hielt die eine Schulter ein wenig schief. „Das ist die Königin Marie-Therèse?“, flüsterte Jeanne enttäuscht.
„Dort drüben, die schöne junge Dame mit den blonden Locken, das ist Henriette-Anne, die Schwägerin des Königs, Gattin seines jüngeren Bruders Philippe“, fuhr de Gironde mit seinen Erklärungen fort. „Man munkelt, dass der König Gefühle für sie hegt und sie heimlich besucht. Sein Bruder muss es dulden und wird für die Hörner, die ihm aufgesetzt werden, auch noch ausgelacht.“
De Gironde war zum heutigen Appartement höfisch gekleidet und nach der Mode geschminkt, sodass er ihr fast fremd vorkam. Auch ihr eigenes Spiegelbild, das sie hin und wieder in einem der vielen Wandspiegel zu sehen bekam, erschien ihr seltsam ungewohnt. Das dunkelrote, dezent ausgeschnittene und mit teuersten Spitzen verzierte Kleid, die weiß gepuderte Haut, das kunstvoll gelockte und am Hinterkopf aufgesteckte Haar. Erstaunt stellte sie fest, dass nicht nur die Herren, sondern auch viele Damen Perücken trugen – nur diejenigen, die sich eines üppigen natürlichen Haarwuchses erfreuten, hatten ihr eigenes Haar frisiert.
Jeanne bekam nun zu spüren, dass sie keinerlei Rang in diesem Machtgefüge der Höflinge besaß. Während einige Damen in Fauteuils saßen, erhielten andere in der zweiten Reihe nur einen Stuhl, weitere einen Schemel, und der Rest musste stehen. Auch die Herren – außer dem König – standen während des Konzertvortrags, schauten den Damen über die Schultern und flüsterten mit ihnen. Jeanne hatte einen Platz dicht an der Wand ergattert, sodass sie sich wenigstens anlehnen konnte, und sie versuchte den Klängen zu lauschen, die ein junger Mann auf dem kostbar eingelegten Cembalo erzeugte. Es war jedoch nicht einfach, sich auf die Musik zu konzentrieren, da rings um sie beständig geflüstert und gewispert wurde.
„Ein strahlender junger Held“, hörte sie neben sich die Stimme einer Dame. Sie kicherte. „Er soll ja wie Gott Mars persönlich in die Schlacht geritten sein. Der König hat ihn lobend erwähnt.“
„Dann haben wir die Hoffnung, den bezaubernden Blondschopf bald wieder bei Hofe zu sehen“, flüsterte eine andere Dame.
Jeanne wandte das Gesicht ab, denn ein Schwall Parfümduft drang an ihre Nase. Die Luft war ohnehin schrecklich in dieser Enge, dazu schnürte sie das Korsett so ein, dass ihr fast schlecht wurde. Dennoch war sie neugierig, von wem die Rede war. „Oh, der hübsche Christian wird ohne Zweifel demnächst hier auftauchen. Aber denke nicht, dass du dir wieder Hoffnungen machen kannst, liebe Freundin.“
„Was weißt du von meinen Hoffnungen?“
„Nichts. Aber ich kenne deine süßen Erinnerungen.“
Die beiden kicherten wieder. Einer der Herren, ein ältlich aussehender Mann im dunklen Gewand, zischte nach hinten, dass das Geflüster eingestellt werden sollte. Der König habe bereits die Stirn gerunzelt. Sein Blick blieb an Jeanne mit einer seltsamen Mischung aus Abscheu und Bewunderung hängen, einen Augenblick lang schienen seine Augen sich an ihr festzusaugen, dann wandte er sich rasch wieder ab.
„Wer ist das?“, flüsterte Jeanne Roger de Gironde zu, der sich unauffällig an ihre Seite begeben hatte.
„Das ist der Kardinal Ernest de la Solle, Beichtvater der Königin.“
Die Art, wie Roger de Gironde diesen Namen flüsterte, war ungewöhnlich. Sie sah neugierig hinüber zu dem ältlichen Geistlichen, der sich jetzt leise und eifrig mit der Königin austauschte. Ernest de la Solle war von bleicher Gesichtsfarbe, das halblange weiße Haar hing bis auf den weißen Kragen herab, die Augen waren dunkel und sehr beweglich. Sein schwarzes Gewand war aus Seide gefertigt, hatte weite, spitzenbesetzte Ärmel und schillerte im Licht der großen Kerzenlüster. Als er den kurzen Wortaustausch mit der Königin beendet hatte, wandte Marie-Therèse den Kopf und blickte sich suchend um. Erschrocken spürte Jeanne den hasserfüllten Blick der Königin auf sich gerichtet, und sie begriff, dass man über sie gesprochen hatte.
„Er ist nicht gerade ein guter Freund, oder?“, flüsterte sie Roger de Gironde zu.
„Nein, Jeanne. Alles andere als das. Er plant, mich zu vernichten.“
Marguerite de Fador hatte den Vormittag in großer Unruhe zugebracht. Ganz gegen ihre Gewohnheit stand sie in der Fensternische,
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