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Der Graf und die Diebin

Der Graf und die Diebin

Titel: Der Graf und die Diebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Amber
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wieder stehen, um eine eingelegte Kommode zu bewundern, einen kunstvoll verzierten Kamin oder die goldenen Stuckarbeiten an den Wänden, aus denen ihr kleine Engelsgesichter oder die Gestalten mythologischer Sagen entgegensahen. Ach – und erst all die fein gewebten, glänzenden Stoffe, die überall in den Räumen auf fantastische Weise gerafft und drapiert waren. Wie musste es erst in den Schlössern des Königs aussehen, wenn schon ein Stadthaus wie dieses so überaus reich ausgestattet war?
    Madame de Fador war streng zu ihr, und nach wie vor konnte Jeanne diese Frau nicht besonders gut leiden. Dennoch ließ sie sich bereitwillig in allem unterweisen, das ihre Gönnerin für wichtig hielt.
    In den Nächten fühlte sie sich unsagbar einsam. Nadine hatte sich getäuscht – er kam nicht. Still lag sie in ihrem Bett, starrte auf das Spiel des Kerzenscheins auf den Stuckornamenten des Kamins und wartete auf den Schlaf. Sie hatte sich verboten, an Christian zu denken. Doch wenn sie in dem Reich der Träume war, waren alle Verbote nichtig. Dann war er ihr so nah, dass sie im Schlaf stöhnte und leise seinen Namen rief.
     
    Die Gefährten hatten ihn bewusstlos im Wald gefunden – sein Pferd, das reiterlos umherlief, hatte ihnen den Weg gewiesen. Reglos lag er auf dem Rücken, die Augen geschlossen, Blut lief aus einer Wunde an der Stirn. Im ersten Augenblick hatten sie geglaubt, es sei mit ihm zu Ende. Claude hatte sich bekreuzigt und geflüstert, dass er es ja vorausgesehen habe. Als sie dann feststellten, dass Christian nur bewusstlos war, hatte René den Leblosen auf sein Pferd gehoben und war mit ihm zum Schloss geritten.
    Wochen vergingen – Christian lag zu Bett, sein Kopf dröhnte, die Ohren sausten, sein ganzer Körper schmerzte. Ein breiter Ast hatte ihn vom Pferd gefegt. Bei dem Sturz hatte er sich mehrere Prellungen zugezogen, gebrochen war zum Glück nichts. Doch der gewaltige Schlag gegen den Schädel hatte seinen Hirnkasten ziemlich durcheinandergewirbelt. Tagelang konnte er sich nicht einmal im Bett aufsetzen, ohne dass das Zimmer um ihn kreiste.
    „Unkraut vergeht nicht“, tröstete ihn René, der Tag und Nacht an seinem Krankenlager saß. „Jeden anderen hätte dieser Ast unweigerlich ins Jenseits befördert. Aber dein harter Schädel hat nur ein paar kleine Dellen abbekommen.“
    Christian, der eine kalte Kompresse auf der Stirn hatte, verzog das Gesicht zu einem mühsamen Grinsen. „Vielen Dank. Das, was du ‚kleine Dellen’ nennst, reicht mir fürs Erste. Zum Teufel mit diesem verdammten Ast.“
    „Zum Teufel mit deinem Übereifer“, knurrte René, der es trotz aller Sorge um Christian nicht lassen konnte, loszupoltern. „Nur ein kompletter Idiot reitet im Galopp durch dieses Dickicht. Was hast du dir dabei gedacht? Dass die Bäume zwei Schritte zurücktreten, wenn du vorbeikommst?“
    „Ach was“, brummte Christian und schloss die Augen, weil René das feuchte Tuch von seiner Stirn nahm und es durch ein frisches ersetzte. Maria hatte alle ihre Künste aufgeboten, um den jungen Herrn wieder gesund zu machen. Doch wirklich heilen konnten ihn nur absolute Ruhe und der gemächliche Lauf der Zeit.
    In den Nächten dämmerte er vor sich hin, während René neben ihm auf einem improvisierten Lager kräftig schnarchte. Immer wieder kreisten Christians Gedanken und Träume um zwei Pole, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen wollten. Der eine war das Vermächtnis seines Vaters: Die glänzende Karriere am Hof des Königs. Die Vollendung dessen, was sein Vater einmal begonnen hatte. Es wurde ihm immer deutlicher, dass er diesem Auftrag nicht entkommen würde.
    Der andere Pol war Jeanne. Die süße, verführerische Wildkatze, die er fast gezähmt und dann doch wieder verloren hatte. Jeanne, die während der vergangenen Tage sein ganzes Denken und Fühlen vereinnahmt hatte. Tausend Erinnerungen an sie durchzogen sein Hirn, abertausend Bilder tauchten vor ihm auf. Jeanne, die ihn wütend anblitzte und das Schloss hocherhobenen Hauptes verlassen wollte, Jeanne, die sich ihm im Dämmerlicht der Bibliothek so bereitwillig hingab, Jeanne, die ihm atemlos zuhörte, wenn er ihr Geschichten erzählte. Sie stand ihm vor Augen, wie sie fast nackt in seinen Armen gelegen hatte, und er meinte ihre Lippen zu spüren, ihr Haar zu riechen, ihr Herz schlagen zu hören.
    Er hatte sie gehen lassen. Warum? Ein Wort hätte genügt, sie zurückzuhalten. Aber dieses Wort hatte er nicht über die Lippen gebracht.

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