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Der Graf und die Diebin

Der Graf und die Diebin

Titel: Der Graf und die Diebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Amber
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ihrer Gönnerin recht eintönig, einige sogar langweilig vorgekommen. Dieser Mann jedoch war ein Zauberer. Er las nicht – er lebte seine Szenen. Er schlüpfte in seine Figuren hinein, wechselte die Rollen, redete mal mit hoher Stimme, mal tief, grinste, kicherte, donnerte, wisperte, bewegte die Arme und sprang gar zwischen den atemlosen Zuhörern umher. Als er seinen Vortrag beendet hatte, schien ein Bann zu brechen und sogar diejenigen, die vorher skeptische Mienen zur Schau gestellt hatten, spendeten begeistert Beifall.
    Was für eine Gabe , dachte Jeanne.
    Man umringte Molière, redete auf ihn ein, machte ihm schöne Komplimente, und jede der Damen war stolz darauf, einige Worte aus seinem Munde an sich gerichtet zu hören. Auch Jeanne hätte ihm gern gesagt, wie sehr es ihr gefallen hatte, doch die begeisterten Damen und Herren umgaben ihn so hartnäckig, dass kein Durchkommen zu ihm war.
    Resigniert blieb sie auf ihrem Hocker sitzen und beobachtete das Treiben aus der Entfernung. Wie lächerlich doch einige dieser adeligen Herren waren. Dem einen war bei einer ungeschickten Bewegung die Allonge-Perücke verrutscht, so dass für einen Augenblick der kahlgeschorene Schädel zu sehen war. Ein anderer bohrte beständig mit einem Stäbchen in den Zähnen herum. Auch die Damen waren keineswegs alle so schön und perfekt gekleidet, wie sie es zunächst erwartet hatte. Einige waren unförmig dick, andere ungeschickt angezogen und mit Spitzen und Juwelen überladen. Alle aber waren im Gesicht und auf dem Dekolleté weiß gepudert und trugen merkwürdige Schönheitspflästerchen.
    „Nun, Mademoiselle? So ernst? Denkt Ihr über die Schlechtigkeiten dieser Welt nach?“
    Der Sprecher war der Duc de Gironde, ein Mann um die Vierzig, der im Salon wegen seiner kühlen, überlegenen Art gefürchtet war. Es hieß, er habe bei Hofe etliche seiner Feinde mit nur einer einzigen, scharfzüngigen Bemerkung so bloßgestellt, dass sie ihm fortan ängstlich aus dem Weg gingen. Er hatte Jeanne von Anfang an aufmerksam beobachtet und sie hin und wieder angesprochen.
    „Oh nein, Euer Gnaden“, antwortete sie lächelnd. „Ich habe vielmehr darüber nachgedacht, wie es möglich ist, dass ein einziger Mensch solche Macht über andere haben kann.“
    Er sah lächelnd auf sie herab. „Ihr sprecht von Molière? Nehmt ihn nicht zu wichtig, Mademoiselle. Ein Komödiant, nichts weiter. Wirkliche Macht geht nicht von ihm aus.“
    „Aber alle waren wie gebannt von seinem Vortrag“, wandte sie ein.
    In seinen Augen war nicht abzulesen, was er dachte. „Für eine halbe Stunde – ja. Wenn Ihr ein wenig älter seid, Mademoiselle, werdet Ihr feststellen, dass hinter wirklicher Macht immer der unbeugsame Wille steht, die Welt nach eigenen Vorstellungen zu ordnen.“
    Sie interessierte sich herzlich wenig für dieses Thema, jedoch hatte Marguerite sie gelehrt, auch in einem solchen Fall eine geistreiche Antwort zu finden. „Somit genügt es nicht, Menschen faszinieren zu können? Man muss damit auch einen Plan verfolgen?“
    „Kluges Kind“, sagte er. „Ich werde mich bei Gelegenheit nach deinem Plan erkundigen, kleine Jeanne.“
    „Nach was für einem Plan?“, wunderte sie sich.
    Doch Roger de Gironde war zu Marguerite getreten, die ihm mit einem kleinen Lächeln entgegenging. Gleich darauf waren sie in ein Gespräch vertieft, und Jeanne hatte den Eindruck, dass beide sich außerordentlich gut miteinander verstanden. Den Rest des Abends langweilte sich Jeanne. Die jüngeren Damen beachteten sie nicht, dafür fielen einige der älteren Damen mit mütterlicher Fürsorge über „Marguerites neuen Schützling“ her und versorgten sie mit den neuesten Klatschgeschichten. Schlimmer noch waren die Herren, die allesamt großes Vergnügen daran hatten, sie in ein bedeutungsloses Gespräch zu ziehen, ihr alberne Komplimente zu machen und – wenn möglich – ihre Hand, ihren Fuß oder gar ihr Knie zu streicheln.
    Am Abend lag sie mit offenen Augen auf ihrem Lager und schaute in den Betthimmel, der ein kunstvolles Ensemble aus gerafften Brokatstoffen, Goldfransen und Bändern war.
    Immer noch war sie von den Herrlichkeiten dieses Stadthauses am Ufer der Seine überwältigt. Gegen diese Zimmerfluchten, in denen sich reich ausgestattete Salons aneinanderreihten, wirkte das trutzige Schloss in der Normandie, das sie noch vor Wochen so ehrfürchtig bewunderte hatte, schlicht und plump. Wenn sie tagsüber einige freie Minuten hatte, blieb sie immer

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