Der Graf und die Diebin
sie küssen. Er musste ihr entgegenschleudern, wie sehr sie ihn verraten hatte. Er bereute seine Unbeherrschtheit noch im selben Augenblick, doch es war geschehen. Sie hatte ihn nur zu recht geohrfeigt. Doch das Gesagte konnte auch dadurch nicht aus der Welt geschaffen werden. Er würde sie um Verzeihung bitten. So bald wie möglich würde er das tun…
Roger de Gironde hielt es jetzt – da man sich dem verabredeten Ort näherte – für angebracht, das Schweigen zu brechen. „Nehmt die Geschichte nicht auf die leichte Schulter“, warnte er Christian. „Der Chevalier ist ein kaltblütiger und trickreicher Fechter.“
Christian lächelte verächtlich.
„Glaubt Ihr, ich hätte Angst vor ihm? Auch ich habe zu fechten gelernt, Duc.“
Roger zuckte die Schultern und zog es vor, nicht weiter darüber zu sprechen. In der Fechtkunst war der Chevalier de Boudard dem jungen Mann ohne Zweifel unterlegen – aber Roger de Gironde kannte den Chevalier viel zu gut, um nicht zu wissen, dass er diesen Nachteil durch Kaltblütigkeit und Hinterlist ausgleichen würde. In diesem Punkt war de Boudard gegenüber dem aufbrausenden und ehrlichen Christian haushoch im Vorteil.
Die Kutsche kam zum Stehen, und die beiden Männer stiegen aus. Links ragten die Gipfel einiger Bäume schemenhaft aus den Morgennebeln hervor, die schwarze Form einer wartenden Kutsche wurde sichtbar. Ihre Gegner waren bereits eingetroffen. Schweigend schritten die beiden nebeneinander her. Christian wurde jetzt von der Unruhe und Spannung ergriffen, die ihn jedes Mal vor einem Ehrenhandel packte, und die seiner Ansicht nach vor einem Kampf unbedingt notwendig war. Ja, er war bereit, diesem widerlichen Lustmolch zu beweisen, dass er sich nicht ungestraft einen Feigling schimpfen ließ. Er brannte förmlich darauf. Dieser Mensch hatte ihm seine Jeanne genommen, und er würde dafür büßen.
De Boudard stand wie ein unförmiger dunkler Schatten im Morgendunst, ein schwacher Wind bewegte den Rand seines Mantels. Sein Sekundant, ein junger Adeliger mit rötlichem Haar und blasser Gesichtshaut, ging den Ankommenden mit langen Schritten entgegen. Man merkte dem jungen Mann an, dass er die Angelegenheit rasch über die Bühne bringen wollte, denn man hatte erst kürzlich wieder zwei Duellanten in Haft genommen.
Während die Sekundanten die vorgeschriebenen Zeremonien erfüllten, warteten die beiden Kämpfer schweigend. Ein Vermittlungsversuch scheiterte wie erwartet. Christian de Saumurat war unter keinen Umständen dazu bereit, für angebliche Frechheiten untertänig um Vergebung zu bitten. Die Waffen wurden geprüft und für angemessen erklärt, man legte fest, dass der Kampf beendet war, sobald einer der Gegner sich als besiegt erklären würde. Dann bat man die Gegner, sich zum Kampf bereit zu machen. Christian legte Mantel und Jacke ab, ergriff seinen Degen und fuhr damit probeweise einige Male durch die Luft. Der Chevalier auf der anderen Seite wog die Waffe in der Hand und maß den Gegner mit scharfem Blick.
„En garde, Messieurs!“
Mit langsamen Schritten bewegten sich die beiden Männer aufeinander zu. Ein Windstoß blies eine Nebelbank über den Fluss und hüllte die Gegner für einen Moment in weißen Dunst. Als ihre dunklen Körper wieder zu sehen waren, hatte der Kampf bereits begonnen.
Zunächst geschah nicht viel, die Fechter trachteten danach, den Gegner einzuschätzen. Christian startete einige Attacken, die der Chevalier mit Geschick parierte. Roger hatte nicht gelogen: Der Chevalier war zwar kein hervorragender Fechter, jedoch beherrschte er die Kunst der klugen ausdauernden Verteidigung, die den Gegner zermürben sollte. Der Kampf war ungleich, denn Christian blieb nur die Rolle des Angreifers, das sich blitzschnelle Hervorwagen und wieder Zurückziehen, während der Chevalier sich darauf beschränkte, die Attacken abzuwehren und darauf zu warten, dass der Angreifer sich eine Blöße gab.
Roger sah mit Unbehagen, dass der junge Mann mehr und mehr in Hitze geriet, da seine Angriffe immer wieder wirkungslos an der gelassenen Abwehr des Gegners abprallten. Er wusste nur zu gut, dass der Chevalier blitzschnell bei der Hand sein würde, wenn sein junger Gegner in seiner Ungeduld einen Fehler machte.
Ein ärgerlicher Ruf erklang – Christians Degenspitze hatte den Ärmel des Chevalier durchstochen und zerrissen. Erneut drang Christian auf den Gegner ein, nötigte ihn sogar dazu, einige Schritte zurückzuweichen, sprang geschickt über eine
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