Der Graf von Monte Christo 1
hindurch die beiden Männer hätte sehen können.
»Schon gut, schon gut!« entgegnete Caderousse. »Sprechen wir nicht weiter davon; ich nehme alles auf mich.«
Und er begann.
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»Vor allem«, sagte Caderousse, »muß ich Sie bitten, mir eins zu versprechen.«
»Was?« fragte der Abbé.
»Daß, wenn Sie je von den Dingen, die ich Ihnen erzählen werde, Gebrauch machen, niemand erfahren wird, daß sie von mir kommen; denn die Leute, von denen ich sprechen werde, sind reich und mächtig und würden mich wie Glas zerbrechen, wenn sie mich nur mit der Fingerspitze berührten.«
»Machen Sie sich keine Sorge«, entgegnete der Abbé, »ich bin Priester, und die Geheimnisse werden in meiner Brust begraben.
Denken Sie daran, daß wir keinen anderen Zweck haben, als den letzten Willen unseres Freundes in würdiger Weise zu erfüllen; sprechen Sie also ohne Schonung wie ohne Haß, sagen Sie die Wahrheit, die ganze Wahrheit. Ich kenne die Personen nicht, von denen Sie mir erzählen wollen, und werde sie auch wahrscheinlich nie kennenlernen; zudem bin ich Italiener und nicht Franzose; ich gehöre Gott und nicht den Menschen und werde wieder in mein Kloster zurückkehren, das ich nur verlassen habe, um den letzten Willen eines Sterbenden zu erfüllen.«
Dieses Versprechen schien Caderousse etwas zu beruhigen.
»Wohlan denn, in diesem Falle sei es«, sagte Caderousse, »ich werde Sie über diese Freunde, die der arme Edmund für so aufrichtig hielt, aufklären.«
»Lassen Sie uns mit seinem Vater anfangen«, sagte der Abbé.
»Edmund hat mir viel von diesem Greise erzählt, für den er eine tiefe Liebe hegte.«
»Die Geschichte ist traurig, Herr«, sagte Caderousse und schüttelte den Kopf dabei; »den Anfang kennen Sie wahrscheinlich.«
»Ja«, antwortete der Abbé, »Edmund hat mir alles erzählt bis zu dem Augenblick, da er in einer kleinen Schenke bei Marseille verhaftet wurde.«
»In der ›Réserve‹, ach Gott ja! Ich sehe es noch, als ob es jetzt pas-sierte.«
»War es nicht sogar bei seinem Verlobungsmahl?«
»Jawohl, das Mahl, das so fröhlich begann, hatte ein trauriges Ende. Ein Polizeikommissar, gefolgt von vier Füsilieren, trat ein, und Edmund wurde verhaftet.«
»Damit endet das, was ich weiß«, sagte der Priester; »Dantès selbst wußte nichts weiter, als was ihn persönlich betraf, denn er hat die fünf Personen, die ich Ihnen genannt habe, nie wieder gesprochen, und er hat auch nie wieder von ihnen gehört.«
»Nun wohl! Nach der Verhaftung Dantès’ eilte Herr Morrel fort, um Erkundigungen einzuziehen; die lauteten sehr traurig. Der alte Dantès kehrte allein nach Hause zurück, zog weinend seinen Hochzeitsrock aus und lief den ganzen Tag im Zimmer auf und ab.
Am Abend legte er sich nicht hin, denn ich wohnte unter ihm und hörte ihn die ganze Nacht hin und her gehen.
Am folgenden Tag kam Mercedes nach Marseille, um Herrn von Villefort um Schutz anzufl ehen, doch erreichte sie nichts. Sie besuchte auch den Alten, und als sie ihn so niedergeschlagen sah und erfuhr, daß er die ganze Nacht nicht zu Bett gegangen war und seit gestern nichts gegessen hatte, wollte sie ihn mitnehmen, um ihn zu pfl egen; aber der Alte wollte seine Wohnung nicht verlassen.
›Nein‹, sagte er, ›ich verlasse das Haus nicht, denn mich liebt mein armes Kind vor allem, und mich wird er zuerst aufsuchen, wenn er freikommt. Was würde er sagen, wenn ich ihn nicht erwartete?‹
Ich hörte das vom Flur aus, denn ich hätte gern gesehen, daß Mercedes den Alten mitnahm; das fortwährende Gehen über mir ließ mir den ganzen Tag keinen Augenblick Ruhe.«
»Sind Sie nicht selbst hinaufgegangen, um den Greis zu trösten?«
fragte der Priester.
»O Herr«, antwortete Caderousse, »man tröstet nur diejenigen, die getröstet werden wollen, und er wollte es nicht; außerdem hatte er anscheinend etwas gegen mich, ich weiß nicht recht weshalb. Eines Nachts aber, als ich sein Schluchzen hörte, konnte ich nicht widerstehen und ging hinauf; als ich aber vor der Tür ankam, weinte er nicht mehr, sondern er betete. Wie er betete, kann ich Ihnen nicht wiederholen; ich sagte mir aber an dem Tage, daß, wenn ich ein Kind hätte und einen solchen Schmerz empfände wie der Alte, ich mich direkt ins Meer stürzen würde, um nicht länger zu leiden.«
»Armer Vater!« murmelte der Priester.
»Mit jedem Tag lebte er einsamer und zurückgezogener; Herr Morrel und Mercedes kamen oft, um ihn zu besuchen,
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