Der Graf von Monte Christo 1
der in der Klemme ist, weil er mir gedient hat; fürwahr, ich würde mich für feig halten, wenn ich nichts für den braven Burschen täte.«
»Und was wollt Ihr tun?«
»Ich stelle etwa zwanzig Mann rings um das Schafott auf, und in dem Augenblick, wo man ihn bringt, gebe ich ein Zeichen, worauf wir uns mit dem Dolch in der Hand auf die Begleiter werfen und ihn entführen.«
»Das kommt mir sehr gewagt vor, und ich glaube fast, mein Plan ist besser als Eurer.«
»Was ist das für ein Plan, Exzellenz?«
»Ich gebe jemand zehntausend Piaster, und dieser bewirkt es, daß die Hinrichtung des Peppino auf das kommende Jahr verschoben wird; dann gebe ich im Verlauf dieses Jahres andere tausend Piaster einem andern, den ich ebenfalls kenne, und dieser macht, daß er aus dem Kerker entschlüpfen kann.«
»Sind Sie gewiß, daß es gelingen wird?«
»Pardieu!« rief in französischer Sprache der Mann im Mantel.
»Wenn es Ihnen gelungen ist, wie werden wir es erfahren?«
»Das ist sehr einfach. Ich habe die drei letzten Fenster im Palazzo Rospoli gemietet; habe ich den Aufschub erwirkt, so werden die zwei Fenster an der Ecke mit gelbem Damast, das mittlere aber mit weißem Damast mit einem roten Kreuz behängt sein.«
»Schön; und durch wen werden Sie die Begnadigung bewerkstel-ligen lassen?«
»Schickt mir einen von Euren Leuten, als Büßer verkleidet, und ich werde sie ihm geben. Dank seines Büßerkleides wird er bis zum Fuß des Schafotts gelangen, wo er die Bulle dem Vorsteher der Brüderschaft einhändigt, der sie dann dem Scharfrichter übergibt.
Inzwischen laßt Peppino Nachricht zukommen, daß er nicht aus Angst stirbt oder verrückt wird, sonst hätten wir uns für ihn in un-nütze Kosten gestürzt.«
»Sie wissen, Exzellenz«, sagte der andere, »ich bin Ihnen ergeben.«
»Ich hoff e es wenigstens.«
»Wohl, wenn Sie Peppino retten, so können Sie nicht bloß auf Ergebenheit, sondern auch auf Gehorsam rechnen.«
»Beachtet wohl, was Ihr da sagt, mein Lieber! Ich, werde Euch eines Tages daran erinnern, denn vielleicht bedarf ich Eurer einmal.«
»Gott befohlen, Exzellenz! Ich rechne auf Sie, rechnen Sie auf mich.«
Nach diesen Worten entfernte sich der Trasteveriner über die Treppe, während der Unbekannte das Gesicht noch tiefer in den Mantel hüllte, zwei Schritt an Franz vorüberging und über die äu-
ßeren Stufen in die Arena hinabstieg.
Zehn Minuten später fuhren Franz und Albert wieder ins Hotel zurück. Albert sprach viel, aber Franz war tief in Gedanken. Er hatte in dem Fremden im Mantel seinen Wirt von der Insel Monte Christo, Sindbad den Seefahrer, wiedererkannt.
Franz und Albert hatten sich vergeblich bemüht, einen Wagen für den Karneval zu bekommen, da alle Wagen in Rom bereits vermietet waren. Am Tag nach ihrem nächtlichen Besuch im Kolosseum erschien plötzlich der Wirt bei ihnen.
»Was gibt’s?« fragte Franz.
»Sie wissen«, sagte der Wirt, »daß der Graf von Monte Christo auf demselben Flur wie Sie wohnt?«
»Ich glaube wohl«, entgegnete Albert, »denn ihm haben wir es zu danken, daß wir untergebracht sind wie zwei Studenten von der Straße Saint-Nicolas-du-Chardonnet.«
»Nun, er weiß von der Verlegenheit, in der Sie sich befi nden, und bietet Ihnen zwei Plätze in seinem Wagen und zwei Plätze an seinem Fenster im Palazzo Rospoli an.«
Albert und Franz blickten einander an.
»Was für ein Mann ist dieser Graf von Monte Christo?« fragte Franz den Wirt.
»Ein sehr großer, vornehmer Herr aus Sizilien oder Malta, ich weiß es nicht genau, doch edel wie ein Borghese und reich wie eine Goldgrube.«
»Ich bin der Ansicht«, sagte Franz, »daß, wenn dieser Mann wirklich von so vornehmer Lebensart ist, wie unser Wirt versichert, er uns seine Einladung auf eine andre Weise hätte zukommen lassen; er würde uns geschrieben haben oder …«
In diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft.
»Herein!« rief Franz.
Ein Bedienter in einer tadellosen Livree erschien auf der Türschwelle und sagte: »Von seiten des Grafen von Monte Christo für den Herrn Franz d’Epinay und den Herrn Albert von Morcerf!«
Er übergab dem Wirt zwei Karten, die dieser den jungen Leuten reichte.
»Der Graf von Monte Christo«, fuhr der Bediente fort, »bittet die Herren um Erlaubnis, sich bei Ihnen morgen früh als Nachbar vorstellen zu dürfen, und er gibt sich die Ehre, die Herren fragen zu lassen, um welche Stunde er Sie sehen könnte?«
»Meldet dem Grafen«, sprach Franz, »daß
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