Der Graf von Monte Christo 1
dem nicht so, der Schrecken allein hatte Teresa die Kräfte geraubt.
Als Luigi sich überzeugt hatte, daß sie unverletzt war, wandte er sich zu dem Verwundeten. Dieser hatte soeben den Geist aufgegeben; seine Fäuste waren geschlossen, der Mund war vom Schmerz verzogen und die Haare waren unter dem Schweiß der Todesqual gesträubt. Die Augen waren off en geblieben.
Vampa trat an die Leiche heran und erkannte Cucumetto. Er betrachtete ihn einen Augenblick, ohne daß sich auf seinem Gesicht die geringste Bewegung zeigte.
Dann wandte sich Vampa zu seiner Geliebten.
»Ah, ah!« sagte er, »schön, du bist angekleidet; jetzt ist an mir die Reihe, Toilette zu machen.«
In der Tat war Teresa vom Kopf bis zu den Füßen in das Kostüm der Tochter des Graf en von San Felice gekleidet.
Vampa nahm die Leiche Cucumettos auf die Arme und trug sie in die Grotte, während Teresa draußen blieb.
Nach Verlauf einer Viertelstunde kam Vampa wieder aus der Grotte. Sein Kostüm war in seiner Art nicht weniger elegant als das Teresas.
Er trug eine Jacke von granatfarbenem Samt mit ziselierten gold-nen Knöpfen, eine ganz mit Stickerei bedeckte seidene Weste, eine römische Schärpe um den Hals, einen ganz mit Gold und roter und grüner Seide gesteppten Patronengürtel, kurze Beinkleider aus him-melblauem Samt, die unterhalb des Knies durch Diamantschnallen zusammengehalten wurden, damhirschlederne, mit Arabesken ver-zierte Gamaschen und einen Hut, von dem Bänder in allen Farben herabhingen. Zwei Uhren hingen an seinem Gürtel, und ein prachtvoller Dolch steckte in dem Patronengurt.
»Bist du jetzt bereit«, sagte er zu Teresa, »mein Geschick, wie es auch sei, mit deinem zu teilen?«
»O ja!« rief das junge Mädchen voll Begeisterung.
»Mir überall zu folgen, wohin ich auch gehe?« fragte Vampa weiter.
»Bis ans Ende der Welt.«
»Dann nimm meinen Arm und laß uns gehen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Das junge Mädchen legte ihren Arm in den ihres Geliebten, ohne auch nur zu fragen, wohin er sie führe; denn in diesem Augenblick erschien er ihr schön, stolz und mächtig wie ein Gott.
Beide schritten auf den Wald zu, dessen Rand sie nach einigen Minuten erreicht hatten.
Vampa kannte alle Pfade des Gebirges; er ging deshalb im Walde vorwärts, ohne einen Augenblick zu zögern, obgleich durchaus kein gebahnter Weg zu erkennen war; aber er erkannte den Weg, dem er folgen mußte, an den Bäumen und Büschen.
So gingen sie etwa anderthalb Stunden.
Plötzlich schien sich zehn Schritt von ihnen ein Mann von einem Baum, hinter dem er verborgen gewesen war, zu lösen.
Er richtete sein Gewehr auf Vampa und rief:
»Wer bist du?«
»Ich bin Luigi Vampa, der Hirt des Hofs San Felice.«
»Was willst du?«
»Ich will mit deinen Gefährten sprechen, die auf der Lichtung von Rocca Bianca sind.«
»Dann folge mir«, sagte die Wache, »oder vielmehr, da du weißt, wo es ist, so geh voran.«
Sie erreichten den Gipfel und befanden sich in demselben Augenblick zwanzig Räubern gegenüber.
»Hier ist ein junger Mann, der euch sucht und mit euch zu sprechen wünscht«, sagte die Wache.
»Was will er uns sagen?« fragte einer der Räuber, der in Abwesenheit des Hauptmanns diesen vertrat.
»Ich will sagen, daß es mich langweilt, das Gewerbe eines Hirten auszuüben«, antwortete Vampa.
»Ah, ich verstehe«, sagte der Bandit, »und du kommst, um uns zu bitten, dich in unsere Reihen aufzunehmen?«
»Ja, nur komme ich, um etwas anderes zu verlangen, als euer Kamerad zu werden.«
»Und was willst du von uns verlangen?« fragten die Banditen voll Verwunderung.
»Ich komme, um euch zu bitten, euer Hauptmann zu werden«, sagte der junge Mann.
Die Banditen brachen in ein Gelächter aus.
»Was hast du denn getan, um auf diese Ehre Anspruch zu erheben?« fragte der stellvertretende Räuberhauptmann.
»Ich habe euren Hauptmann Cucumetto getötet und trage seine Kleider, wie ihr seht«, sagte Luigi, »und ich habe das Schloß San Felice in Brand gesteckt, um meiner Braut ein Hochzeitskleid zu geben.«
Eine Stunde darauf war Luigi Vampa an Stelle Cucumettos zum Hauptmann gewählt.
Der Wirt war mit seiner Erzählung zu Ende. Da schlug es neun, die Tür ging auf, und der Kutscher trat ein.
»Exzellenzen«, sagte er, »der Wagen steht bereit.«
»Gut«, sagte Franz, »also nach dem Kolosseum.«
»Durch die Porta del Popolo oder durch die Straßen?«
»Durch die Straßen, zum Teufel! Durch die Straßen!« rief
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