Der Graf von Monte Christo 1
übereingekommen«, sprach der Graf, »daß Euch nicht allein meine Person, sondern auch die meiner Freunde heilig sein sollen?«
»Und wie habe ich diesen Vertrag gebrochen, Exzellenz?«
»Ihr habt diesen Abend den Vicomte Albert von Morcerf entführt und hierhergebracht; nun seht«, fuhr der Graf in einem Ton fort, der Franz beben machte, »dieser junge Mann ist einer meiner Freunde, dieser junge Mann wohnte in demselben Hotel wie ich, dieser junge Mann hat tagelang in meinem eignen Wagen den Korso mitgemacht! Nichtsdestoweniger, ich wiederhole es, habt Ihr ihn entführt, habt ihn hierhergeschleppt und«, fügte er hinzu, indem er den Brief aus der Tasche zog, »auf ihn, wie auf den ersten besten, ein Lösegeld gesetzt.«
»Warum habt ihr mir das nicht gesagt, ihr Gesellen?« rief der Hauptmann, an seine Leute gewandt, die vor seinem Blick zurück-bebten. »Warum ließt ihr mich Gefahr laufen, mein Wort gegen einen Mann zu brechen, der das Leben von uns allen in seinen Händen hat? Beim Himmel, wenn ich glaubte, daß einer von euch wußte, der junge Mann sei ein Freund Seiner Exzellenz, ich würde ihm mit eigner Hand eine Kugel ins Gehirn jagen.«
Der Graf wandte sich zu Franz und sagte: »Sehen Sie wohl, ich habe es Ihnen ja gesagt, daß hier ein Irrtum vorlag.«
»Sind Sie nicht allein?« fragte Vampa unruhig.
»Ich bin mit dem Herrn gekommen, an den dieser Brief gerichtet ist und dem ich beweisen wollte, daß Luigi Vampa ein Mann von Wort sei. Kommen Sie, Exzellenz«, sprach er zu Franz, »hier ist Luigi Vampa, der Ihnen selbst sagen wird, daß er den begangenen Irrtum bedauert.«
Franz trat hervor; der Hauptmann ging ihm einige Schritte entgegen und sagte: »Seien Sie willkommen unter uns, Exzellenz! Sie haben gehört, was der Herr Graf gesprochen und ich ihm geantwortet habe; ich füge noch hinzu, ich möchte nicht um die viertausend Piaster, die ich als Lösegeld für Ihren Freund festgesetzt habe, daß dergleichen geschehen wäre.«
»Allein, wo ist denn der Gefangene?« fragte Franz, »ich sehe ihn nicht.«
»Der Gefangene ist dort«, sagte Vampa, indem er mit der Hand nach der Vertiefung zeigte, vor der die Wache auf und ab ging, »ich will es ihm selbst mitteilen, daß er frei ist.«
Der Hauptmann schritt zu der bezeichneten Stelle, und Franz und der Graf folgten ihm.
»Was macht der Gefangene?« fragte Vampa die Wache.
»Ich weiß es nicht, Hauptmann; seit einer Stunde schon höre ich nicht mehr, daß er sich rührt.«
»Exzellenz, kommen Sie!« sagte Vampa.
Der Graf und Franz stiegen sieben bis acht Stufen hinab; der Hauptmann schritt ihnen voran, schob einen Riegel zurück und klopfte an eine Tür. Die Tür öff nete sich, und beim Schimmer einer Lampe sah man Albert im tiefsten Schlaf in einer Ecke liegen.
»Seht«, sagte der Graf, auf seine eigentümliche Weise lächelnd,
»nicht übel für einen Mann, der um sieben Uhr morgens erschos-sen werden soll.«
Vampa betrachtete den schlummernden Albert mit einer gewissen Bewunderung; man sah, daß er gegen diesen Beweis von Mut nicht unempfi ndlich war.
»Sie haben recht, Herr Graf«, sprach er, »dieser Mann muß einer Ihrer Freunde sein.«
Dann näherte er sich Albert und berührte ihn an der Schulter.
»Exzellenz«, sprach er, »beliebt es Ihnen aufzustehen?«
Albert streckte die Hände aus, rieb sich das Gesicht und öff nete die Augen. »Ah, ah!« sprach er dann, »Ihr seid es, Hauptmann? Bei Gott! Ihr hättet mich noch schlafen lassen sollen; ich hatte einen herrlichen Traum; ich träumte, daß ich bei Torlonia mit der Gräfi n G… einen Galopp tanzte.«
Er zog seine Uhr, die er behalten hatte.
»Halb zwei Uhr morgens! – Aber zum Teufel, warum habt Ihr mich um diese Stunde aufgeweckt?«
»Um Ihnen zu sagen, daß Sie frei sind, Exzellenz!«
»Mein Lösegeld ist also bezahlt worden?« fragte Albert.
»Nein, Exzellenz!«
»Wieso bin ich dann frei?«
»Jemand, dem ich nichts abschlagen kann, ist hierhergekommen, um Ihre Freilassung zu fordern.«
»Hierher?«
»Ja, hierher!«
»Ha, bei Gott, dieser Jemand ist sehr liebenswürdig!« Albert blickte umher und bemerkte Franz. »Wie, Sie sind es, mein lieber Franz?«
sagte er. »Sie trieben die Aufopferung so weit?«
»Nicht ich«, entgegnete Franz, »sondern unser Nachbar, der Graf von Monte Christo.«
»Ah, bei Gott, Herr Graf!« rief Albert entzückt, indem er seine Krawatte und seine Manschetten ordnete. »Sie sind wahrhaftig ein Mann, dem wir viel verdanken, und ich
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