Der Graf von Monte Christo 2
seit seinem Eintritt in das Gefängnis bedeutend verändert hatte, und wischte seine Lackstiefel mit dem Zipfel eines Taschentuchs, in das Initialen mit einer Krone gestickt waren.
Einige Insassen der Löwengrube sahen mit großem Interesse der Toilette des Gefangenen zu.
»Sieh, der Prinz macht sich schön«, sagte einer der Spitzbuben.
»Er ist von Natur ein schöner Bursche«, sagte ein andrer, »und wenn er nur einen Kamm und Pomade hätte, würde er alle Herren mit weißen Handschuhen in den Schatten stellen.«
»Sein Rock muß ganz neu gewesen sein, und seine Stiefel glänzen prächtig. Sehr schmeichelhaft für uns, so feine Kollegen zu haben; diese Räuber von Gendarmen haben ihn schön zugerichtet; sie waren sicher neidisch, da sie den feinen Anzug so zerrissen haben.«
»Es scheint ein Prachtkerl zu sein«, bemerkte ein andrer; »er hat alles gemacht … und in großem Stil … Er kommt ganz jung aus dem Süden, wirklich ein tüchtiger Kerl.«
Der Gegenstand dieser abscheulichen Bewunderung schien das Lob oder den Duft des Lobes einzusaugen, denn die Worte hörte er nicht. Als seine Toilette beendet war, trat er an die Klappe der Kantine, an der ein Wärter lehnte.
»Hören Sie, mein Herr«, sagte er zu dem Wärter, »leihen Sie mir zwanzig Franken. Sie bekommen sie bald wieder; bei mir laufen Sie keine Gefahr. Bedenken Sie, daß meine Verwandten mehr Millionen als Sie Pfennige haben … Hören Sie, zwanzig Franken, damit ich mir eine separate Zelle nehmen und einen Schlafrock kaufen kann.
Ich leide entsetzlich darunter, immer im Rock und in Stiefeln zu sein.
Welcher Rock, mein Herr, für einen Prinzen Cavalcanti!«
Der Wärter wandte ihm den Rücken zu und zuckte die Schultern.
Er lachte nicht einmal über diese Worte, denn er hatte schon oft dergleichen gehört.
»Ich sehe«, sagte Andrea, »Sie sind ein Mann ohne Eingeweide, und ich werde Sie um Ihre Stelle bringen.«
Bei diesen Worten wandte sich der Wärter um und lachte laut auf.
Die Gefangenen traten näher.
»Ich sage Ihnen, daß ich mir mit dieser elenden Summe einen Rock und ein Zimmer verschaff en kann, um den erlauchten Besuch, den ich jeden Tag erwarte, anständig zu empfangen.«
»Er hat recht«, sagten die Gefangenen. »Zum Kuckuck, man sieht doch, daß es ein feiner Herr ist.«
»Nun, dann leiht ihm doch die zwanzig Franken«, sagte der Wärter, indem er seine kolossale Schulter an die Wand lehnte; »seid ihr das nicht einem Kameraden schuldig?«
»Ich bin nicht der Kamerad dieser Leute«, rief der junge Mann stolz; »beleidigen Sie mich nicht, dazu haben Sie kein Recht.«
Die Spitzbuben sahen sich an, und ein dumpfes, Gemurmel lief durch ihre Reihen, ein Gewitter drohte über den aristokratischen Gefangenen hereinzubrechen. Der Wärter, der sicher war, den Fluten Halt zu gebieten, wenn sie zu ungestüm werden sollten, ließ, um sich einmal eine Erholung während seiner langweiligen Dienststunden zu verschaff en, das Wasser steigen. Die Spitzbuben näherten sich Andrea bereits. Die einen sagten: »Er soll den Stiefel fühlen!« Diese grausame Operation besteht darin, daß der in Ungnade gefallene Kamerad mit einem eisenbeschlagenen Stiefel bearbeitet wird.
Andre schlugen den »Aal« vor, eine andre Art der Erholung, die darin besteht, daß Steine und Sand in ein Tuch gefüllt werden, mit dem dann der Patient geschlagen wird.
»Prügeln wir den Schönen!« sagten einige.
Aber Andrea drehte sich nach ihnen um, zwinkerte mit den Augen, steckte seine Zunge in die Backe und ließ ein eigentümliches Schnalzen hören. Das war ein Gaunerzeichen, das Caderousse ihn gelehrt hatte.
Die Spitzbuben erkannten einen der Ihren; sofort senkten sich die Tücher, und der eisenbeschlagene Stiefel kehrte wieder auf den Fuß des Haupthenkers zurück. Man hörte einige Stimmen äußern, daß der Herr recht habe, daß es ihm freistünde, nach seiner Art zu leben, und daß die Gefangenen das Beispiel der Gewissensfreiheit geben wollten.
Der Wärter war über dieses plötzliche Ende des Aufruhrs so erstaunt, daß er Andrea sofort bei den Händen nahm und ihn zu durchsuchen begann. Andrea ließ es, nicht ohne zu protestieren, geschehen. Plötzlich ertönte eine Stimme an der Tür.
»Benedetto!« rief ein Inspektor.
Der Wärter ließ Andrea los.
»Man ruft mich?« fragte dieser.
»Zum Sprechzimmer!« sagte die Stimme.
»Sehen Sie, man kommt, mich zu besuchen. Ah, mein lieber Herr, Sie werden sehen, ob man einen Cavalcanti wie einen
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