Der Graf von Monte Christo 2
lächelnd; »aber wir sind in unserem Unglück reich genug geblieben, um niemand um Hilfe angehen zu brauchen; wir verlassen Paris, und wenn die Reisekosten bezahlt sind, bleiben uns fünftausend Franken.«
Die Röte stieg Debray ins Gesicht, der eine Million in der Brieftasche trug, und sowenig poetisch er war, konnte er nicht umhin, daran zu denken, daß dasselbe Haus eben noch zwei Frauen beher-bergte, von denen die eine, verdientermaßen entehrt, mit fünfzehnhunderttausend Franken arm davonging, während sich die andre, die unverdientermaßen vom Schicksal getroff en, aber erhaben war in ihrem Unglück, mit einigen Pfennigen für reich hielt.
Dieser Vergleich brachte ihn aus der Fassung; er stammelte einige höfl iche Worte und ging schnell die Treppe hinab.
An diesem Tag hatten seine Untergebenen im Ministerium sehr unter seiner schlechten Laune zu leiden. Aber am Abend erwarb er ein schönes Haus am Boulevard de la Madeleine, das fünfzigtausend Livres Rente einbrachte.
Am folgenden Tag, um die Stunde, da Debray den Kaufkontrakt unterzeichnete, bestieg Frau von Morcerf, nachdem sie ihren Sohn zärtlich umarmt hatte, das Kabriolett der Postkutsche, dessen Tür sich hinter ihr schloß.
An einem der zum Posthof hinausgehenden Fenster hielt sich ein Mann versteckt; er sah Mercedes in den Wagen steigen, sah den Wagen fortfahren und Albert sich entfernen.
Da fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und sagte: »Auf welche Weise kann ich diesen beiden Unschuldigen das Glück zurückgeben, das ich ihnen genommen habe? Gott wird mir helfen!«
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Eine der Abteilungen des Gefängnisses La Force, die, in der die am schwersten belasteten und gefährlichsten Gefangenen untergebracht sind, heißt die Cour Saint-Bernard.
Die Gefangenen nennen diese Abteilung die Löwengrube, wahrscheinlich, weil die dort Untergebrachten Zähne haben, die oft die Gitter und zuweilen die Wärter beißen.
Es ist ein Gefängnis im Gefängnis; die Mauern haben die doppelte Dicke der andern. Jeden Tag untersucht ein Kerkermeister sorgfältig die massiven Gitter, und man erkennt an den herkulischen Gestalten, den kaltblütigen und scharfen Blicken dieser Wärter, daß sie ausgewählt worden sind, um die Gefangenen durch Schrecken zu beherrschen.
Der Hof dieser Abteilung ist von gewaltigen Mauern eingefaßt, an denen die Sonnenstrahlen schräg hinabgleiten, wenn sie sich ent-schließen, in diesen Abgrund moralischer und physischer Häßlichkeit einzudringen. Hier irren vom frühen Morgen an, sorgenvoll, verstört, bleich, schattengleich, die Männer umher, welche die Justiz unter die Schneide des Schwertes gebeugt hält.
Man sieht sie an der Stelle der Mauer stehen oder kauern, die am längsten von der Sonne beschienen und gewärmt wird. Dort bleiben sie, manchmal zu zweien miteinander sprechend, in der Regel aber allein, das Auge unaufhörlich zur Tür gerichtet, die sich öff -
net, um irgendeinen der Bewohner dieses trostlosen Aufenthalts zu rufen oder irgendeine neue aus dem Schmelztiegel der Gesellschaft ausgeworfene Schlacke in diesen Abgrund auszuspeien.
Die Cour Saint-Bernard hat ihr besonderes Sprechzimmer, ein langes Viereck, das durch zwei parallele, drei Fuß voneinander entfernte Gitter in zwei Teile geteilt ist, so daß der Besucher dem Gefangenen nicht die Hand drücken und ihm nichts zustecken kann. Dieses Sprechzimmer ist fi nster und feucht und macht einen entsetzlichen Eindruck, besonders wenn man an die furchtbaren Dinge denkt, über die durch diese Gitter hindurch gesprochen worden ist.
Doch dieser Ort, so entsetzlich er ist, ist das Paradies, in das diese Männer kommen, deren Tage gezählt sind; hier können sie wieder einmal die Gesellschaft genießen, nach der sie sich sehnen. Sehr selten verläßt einer die Löwengrube anders, als um nach der Barriere Saint-Jacques, dem Bagno oder in Einzelhaft zu gehen.
Im Hof ging ein junger Mann, die Hände in den Rocktaschen, umher, der von den Bewohnern der Löwengrube mit großer Neugier betrachtet wurde.
Man hätte ihn nach dem Schnitt seiner Kleider für einen eleganten Herrn halten können, wenn diese Kleider nicht zerfetzt gewesen wären; sie waren jedoch nicht abgenutzt, denn das feine Tuch nahm an den unbeschädigten Stellen unter der liebkosenden Hand des Gefangenen, der seinen Anzug zurechtzustutzen versuchte, seinen alten Glanz wieder an.
Er verwandte dieselbe Sorgfalt darauf, ein Batisthemd zu schließen, dessen Farbe sich
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