Der Graf von Monte Christo 2
Benedetto!«
»Nicht wahr, und direkt aufs Ziel los. Vor allem keine überfl üssigen Worte. Wer schickt dich?«
»Niemand.«
»Woher weißt du, daß ich im Gefängnis bin?«
»Ich habe dich schon lange in dem hochmütigen feinen Herrn wiedererkannt, der so elegant mit seinem Wagen in den Champs-Elysées fuhr.«
»Ah ja, in den Champs-Elysées. Das erinnert mich. Sprechen wir ein wenig von meinem Vater. Willst du?«
»Wer bin denn ich?«
»Du, mein Braver, du bist mein Adoptivvater … Aber du bist doch nicht derjenige, der mir hunderttausend Franken zur Verfügung gestellt hat, die ich in vier bis fünf Monaten durchgebracht habe; du hast mir nicht den italienischen Adligen als Vater verschaff t; du hast mich nicht in die Gesellschaft eingeführt und mich zu einem gewissen Diner in Auteuil eingeladen, das ich noch zu schmecken glaube, zusammen mit der besten Gesellschaft von ganz Paris, mit einem gewissen Staatsanwalt, dessen Bekanntschaft ich hätte pfl egen sollen, da er mir jetzt hätte nützlich sein können; du bist endlich nicht derjenige, der eine Kaution von ein oder zwei Millionen für mich gestellt hat, als mir der verhängnisvolle Zufall zustoßen mußte … Geh, ehrenwerter Korse, sprich …«
»Was soll ich dir sagen?«
»Ich werde dir helfen. Du sprachst eben von den Champs-Elysées, mein würdiger Pfl egevater.«
»Nun?«
»Nun, in den Champs-Elysées wohnt ein sehr reicher Herr.«
»Bei dem du gestohlen und gemordet hast, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja.«
»Der Herr Graf von Monte Christo?«
»Du sprichst den großen Namen gelassen aus. Gut, soll ich mich ihm in die Arme werfen und ihn umhalsen mit dem Ausruf: Vater, lieber Vater!«
»Scherze nicht«, antwortete Bertuccio ernst, »sprich diesen Namen hier nicht so aus!«
»Pah«, entgegnete Andrea, den der Ernst Bertuccios etwas aus der Fassung brachte, »warum nicht?«
»Weil derjenige, der diesen Namen trägt, zu sehr vom Glück be-günstigt ist, als daß er der Vater eines Elenden gleich dir sein könn-te.«
»Oh, große Worte …«
»Und große Wirkungen, wenn du dich nicht in acht nimmst!«
»Drohungen …! Die fürchte ich nicht … Ich werde sagen …«
»Glaubst du es mit Zwergen deiner Art zu tun zu haben?« entgegnete Bertuccio mit so ruhigem Ton und so sicherem Blick, daß Andrea bis ins Innerste ergriff en wurde. »Glaubst du es mit Bösewichtern aus dem Bagno oder mit deinen Tölpeln aus der Gesellschaft zu tun zu haben …? Benedetto, du bist in einer furchtbaren Hand; diese Hand will sich dir öff nen, bedenke das. Spiele nicht mit dem Blitz, den sie einen Augenblick niederlegt, aber wieder aufnehmen kann, wenn du versuchst, sie in ihrer freien Bewegung zu hemmen!«
»Ich will wissen, wer mein Vater ist!« sagte Benedetto eigensin-nig. »Und wenn ich dabei zugrunde gehen sollte, ich muß es wissen. Was liegt mir am Skandal! Der verschaff t mir nur Ruf und ist eine Reklame für mich. Aber die aus der vornehmen Welt haben trotz ihrer Millionen und ihrer Wappen immer etwas durch einen Skandal zu verlieren … Nun, wer ist mein Vater?«
»Ich bin gekommen, um es dir zu sagen …«
»Ah!« rief Benedetto mit freudefunkelnden Augen.
In diesem Augenblick wurde die Tür geöff net, der Wärter trat ein und sagte zu Bertuccio: »Entschuldigen Sie, mein Herr, aber der Untersuchungsrichter erwartet den Gefangenen.«
»Das heißt für uns Schluß«, sagte Andrea zu dem Verwalter. »Zum Teufel die Störung!«
»Ich werde morgen wiederkommen«, antwortete Bertuccio.
»Gut«, entgegnete Andrea. »Meine Herren Gendarmen, ich stehe zu Ihrer Verfügung … Ah, mein Bester, laß doch einige Taler im Büro zurück, damit man mir gibt, was ich nötig habe.«
»Das soll geschehen«, antwortete Bertuccio.
Andrea reichte Bertuccio die Hand; der Verwalter behielt aber die seine in der Tasche und klimperte nur mit einigen Geldstücken.
»Das meinte ich«, sagte Andrea, indem er sich zu einem Lächeln zwang. Die seltsame Ruhe Bertuccios hatte ihn betroff en gemacht.
Sollte ich mich getäuscht haben? fragte er sich, während er in den vergitterten Wagen stieg. Nun, wir werden ja sehen.
»Auf morgen!« fügte er hinzu, indem er sich zu Bertuccio umwandte.
»Auf morgen!« antwortete der Verwalter.
D R
Man erinnert sich, daß der Abbé Busoni mit Noirtier allein im Sterbezimmer zurückgeblieben war und daß beide die Wache an der Leiche des jungen Mädchens übernommen hatten.
Vielleicht hatten die
Weitere Kostenlose Bücher