Der Graf von Monte Christo 2
hundertundvierzehn Franken. Setzen wir hundertund-zwanzig. Sie sehen, ich bin freigebig, nicht wahr, Mutter?«
Albert lächelte bei den letzten Worten.
»Aber du, mein armes Kind?«
»Ich! Haben Sie nicht gesehen, daß ich achtzig Franken für mich behalte? Ein junger Mann braucht nicht alle seine Bequemlichkeit zu haben; zudem weiß ich, was reisen heißt.«
»Mit deiner Postchaise und deinem Kammerdiener?«
»In jeder Weise, Mutter.«
»Nun wohl, sei es«, sagte Mercedes; »aber diese zweihundert Franken?«
»Hier sind sie und dann noch weitere zweihundert. Ich habe meine Uhr für hundert Franken verkauft und die Anhängsel für dreihundert. Wir sind also reich, da Sie statt der zur Reise nötigen hundertundvierzehn Franken zweihundertundfünfzig haben.«
»Aber wir sind hier im Haus etwas schuldig.«
»Dreißig Franken, die ich von meinen hundertundfünfzig bezahle.
Das ist abgemacht, und da ich zur Reise nur achtzig Franken brauche, so schwimmen wir, wie Sie sehen, im Überfl uß. Doch das ist nicht alles. Was sagen Sie hierzu, Mutter?«
Und Albert zog aus einer kleinen Brieftasche mit goldenem Schloß einen Tausendfrankenschein.
»Was ist das?« fragte Mercedes.
»Tausend Franken, Mutter.«
»Woher hast du die?«
»Hören Sie mich an, Mutter, und erregen Sie sich nicht zu sehr.«
Albert stand auf, küßte seine Mutter auf beide Wangen und betrachtete sie aufmerksam.
»Sie wissen nicht, Mutter, wie schön ich Sie fi nde!« sagte der junge Mann mit tiefer kindlicher Liebe. »Sie sind wirklich die schönste und edelste Frau, die ich je kennengelernt habe!«
»Liebes Kind«, sagte Mercedes, die vergeblich versuchte, eine Träne zurückzuhalten.
»Wirklich, es fehlte Ihnen nur noch, unglücklich zu sein, um meine Liebe in Anbetung zu verwandeln.«
»Ich bin nicht unglücklich, solange ich meinen Sohn habe«, sagte Mercedes.
»Hier fängt gerade die Prüfung an, Mutter«, antwortete Albert.
»Sie wissen, was abgemacht ist?«
»Haben wir denn etwas abgemacht?« fragte Mercedes.
»Ja, es ist abgemacht, daß Sie in Marseille wohnen bleiben und daß ich nach Afrika gehe, wo ich statt des Namens, den ich aufgegeben habe, meinen neuen Namen zu Ehren bringen werde.«
Mercedes stieß einen Seufzer aus.
»Nun wohl, Mutter, ich bin seit gestern bei den Spahis eingestellt«, fuhr der junge Mann fort, indem er die Augen mit einer gewissen Beschämung senkte, denn er wußte selbst nicht, wie erhaben seine Erniedrigung war; »oder vielmehr, ich habe geglaubt, daß mein Körper mir gehöre und ich ihn verkaufen könne; seit gestern ver-trete ich einen andern. Ich habe mich verkauft, wie man sagt«, füg-te er hinzu, indem er zu lächeln versuchte, »teurer, als ich wert zu sein glaubte, nämlich für zweitausend Franken.«
»Also diese tausend Franken …?« fragte Mercedes zitternd.
»Sind die Hälfte der Summe; die andere Hälfte kommt in einem Jahr.«
Mercedes hob die Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck zum Himmel, und die Tränen, die sie bisher zurückgehalten hatte, fl ossen über ihre Wangen.
»Der Preis seines Blutes!« murmelte sie.
»Ja, wenn ich gefallen bin«, entgegnete Albert lachend; »aber ich versichere Sie, liebe Mutter, daß ich im Gegenteil die Absicht habe, meine Haut tüchtig zu verteidigen; ich habe niemals solche Lust zu leben gehabt wie jetzt.«
»Mein Gott! mein Gott!« rief Mercedes.
»Weshalb soll ich denn übrigens fallen, Mutter? Sind denn Lamoricière, Changarnier, Bedeau und Morrel, die wir kennen, gefallen? Denken Sie, wie Sie sich freuen werden, Mutter, wenn Sie mich in der gestickten Uniform wiederkommen sehen. Ich erkläre Ihnen, daß ich mich prächtig darin ausnehmen werde und daß ich dieses Regiment aus Eitelkeit gewählt habe.«
Mercedes seufzte, während sie zu lächeln versuchte; sie begriff , daß es unrecht sei, ihr Kind das ganze Gewicht des Opfers tragen zu lassen.
»Nun, sehen Sie, Mutter«, fuhr Albert fort, »da haben Sie schon mehr als viertausend Franken, mit denen Sie gut zwei Jahre leben können.«
»Glaubst du?« fragte Mercedes.
Diese Worte waren der Gräfi n entschlüpft; es lag in ihnen solch ein Schmerz, daß ihr Sinn Albert nicht entging; er fühlte sein Herz sich zusammenziehen und sagte, indem er die Hand seiner Mutter nahm und zärtlich drückte:
»Ja, Sie werden leben!«
»Ich werde leben!« rief Mercedes. »Aber du gehst nicht fort, nicht wahr, mein Sohn?«
»Mutter, ich gehe fort«, entgegnete Albert mit ruhiger, fester
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