Der Graf von Monte Christo 2
Vergangenheit beurteile.«
»Es spricht doch aber auch manches für uns, Valentine. Wenn ich auch vom aristokratischen Gesichtspunkt aus keine vortreffl iche
Partie bin, so gehöre ich doch zu den Kreisen, in denen Sie leben; ich habe eine gute Zukunft vor mir, besitze ein nicht großes, aber unabhängiges Vermögen, und man achtet das Andenken meines Vaters in unsrer Heimat als das eines der ehrenwertesten Geschäftsleute, die es je gegeben hat. Ich sage, in unserer Heimat, Valentine, weil Sie ja beinahe eine Marseillerin sind.«
»Sprechen Sie nicht von Marseille, Maximilian; das bloße Wort erinnert mich an meine gute Mutter, diesen Engel. Oh, wenn sie noch lebte, Maximilian, hätte ich nichts zu fürchten; ich würde ihr sagen, daß ich Sie liebe, und sie würde mich beschützen … Aber sagen Sie doch …«
»Was?« fragte Maximilian, als er sah, daß Valentine zögerte.
»Sagen Sie mir«, fuhr das Mädchen fort, »hat es ehemals in Marseille irgendeinen Streit zwischen Ihrem Vater und meinem gegeben?«
»Nicht daß ich wüßte«, antwortete Maximilian, »es müßte denn das sein, daß Ihr Vater ein mehr als eifriger Parteigänger der Bourbonen und der meine ein Anhänger des Kaisers war. Aber weshalb diese Frage, Valentine?«
»Ich will es Ihnen sagen«, entgegnete das junge Mädchen, »denn Sie sollen alles wissen. Es war an dem Tag, da Ihre Ernennung zum Offi zier der Ehrenlegion veröff entlicht wurde. Wir waren alle bei meinem Großvater, Herrn Noirtier, auch Herr Danglars, Sie wissen, der Bankier, dessen Pferde vorgestern beinahe meiner Mutter und meinem Bruder den Tod gebracht hätten. Ich las meinem Großvater die Zeitung vor, während die Herren von der Heirat des Fräulein Danglars sprachen. Als ich zu der Stelle kam, die Sie betraf und die ich schon gelesen hatte, weil Sie mir am Tag vorher schon diese Ernennung mitgeteilt hatten, war ich sehr glücklich, hatte aber auch Angst, Ihren Namen laut auszusprechen, und hätte es sicherlich un-terlassen, wenn ich nicht gefürchtet hätte, daß das übel ausgelegt werden könnte. Ich nahm mich also zusammen und las.«
»Teure Valentine!« warf Maximilian ein.
»Als mein Vater Ihren Namen hörte, wandte er den Kopf. Ich war so überzeugt davon – Sie sehen, wie albern ich bin –, daß alle Welt von diesem Namen wie von einem Blitzstrahl getroff en werden würde, daß ich glaubte, meinen Vater – das war entschieden Einbildung – und sogar Herrn Danglars zusammenfahren zu sehen.
›Morrel‹, sagte mein Vater, ›warte doch!‹ – Er zog die Stirn zusammen. – ›Wäre das einer der Morrels aus Marseille, einer dieser wütenden Bonapartisten, die uns so viel zu schaff en gemacht haben?‹
›Ja‹, antwortete Herr Danglars, ›ich glaube sogar, daß es der Sohn des früheren Reeders ist.‹«
»Und was antwortete Ihr Vater, Valentine?« fragte Maximilian.
»Oh, etwas Abscheuliches, das ich Ihnen nicht wiederholen mag!«
»Wagen Sie’s nur«, sagte Maximilian lächelnd.
»›Ihr Kaiser‹, fuhr mein Vater fort, ›wußte allen diesen Fanatikern den gebührenden Platz anzuweisen, er nannte sie Kanonenfutter, und das war der einzige Name, den sie verdienten. Ich sehe zu meiner Freude, daß die neue Regierung dieses heilsame Prinzip wieder in Kraft setzt. Würde die Regierung nur deshalb Algier behalten, ich würde sie dazu beglückwünschen, obgleich es uns etwas teuer kommt.‹«
»Das ist in der Tat eine rohe Politik«, entgegnete Maximilian. »Aber erröten Sie nicht, liebe Freundin, über die Worte des Herrn von Villefort; mein braver Vater gab ihm in der Beziehung nichts nach und verlangte, der Kaiser solle aus Richtern und Advokaten ein Regiment machen und dieses immer zuerst ins Feuer schicken. Aber was sagte Herr Danglars zu diesem Ausfall des Staatsanwalts?«
»Oh, der lachte mit seinem tückischen Lachen, das ich abscheulich fi nde; dann gingen sie gleich darauf fort. Da sah ich erst, daß mein guter Großvater ganz aufgeregt war. Ich muß Ihnen sagen, Maximilian, daß ich allein die Aufregung des Gelähmten erriet, und ich ahnte, daß diese Unterhaltung in seiner Gegenwart – denn man nimmt auf den armen Großvater keine Rücksicht mehr – einen großen Eindruck auf ihn gemacht hatte, da man schlecht über den Kaiser gesprochen hatte, dessen Anhänger er war.«
»Es ist in der Tat einer der bekanntesten Namen des Kaiserreichs, und er war fast an allen bonapartistischen Anschlägen unter der Restauration
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