Der Graf von Monte Christo 2
Bewegung, »ich will nicht sagen, daß ich nur Sie auf der Welt liebe, denn ich liebe auch meine Schwester und meinen Schwager, aber mit einer ruhigen Liebe, die in nichts dem Gefühl gleicht, das ich für Sie empfi nde.
Wenn ich an Sie denke, kocht mein Blut, meine Brust schwillt, mein Herz läuft über; jetzt verzehrt sich diese Kraft, dieses Feuer, diese übermenschliche Macht nur darin, Sie zu lieben, aber eines Tages werden Sie mich auff ordern, sie dazu anzuwenden, Ihnen zu dienen. Herr Franz von Epinay soll noch ein Jahr fortbleiben. Wie viele glückliche Ereignisse können uns in einem Jahr zu Hilfe kommen!
Hoff en wir also immer, es ist so schön und süß zu hoff en! Aber was sind Sie, Valentine, die Sie mir meine Selbstsucht vorwerfen, für mich gewesen? Die schöne und kalte Statue der keuschen Venus.
Was haben Sie mir für diese Ergebenheit, diesen Gehorsam, diese Zurückhaltung versprochen? Nichts. Was haben Sie mir gewährt?
Sehr wenig. Sie sprechen von Herrn von Epinay, Ihrem Verlobten, und seufzen bei dem Gedanken, eines Tages die Seine zu sein. Hören Sie, Valentine, ist das alles, was Sie empfi nden können? Ich verpfän-de Ihnen mein Leben, ich gebe Ihnen meine Seele, weihe Ihnen den leisesten Schlag meines Herzens, und während ich ganz der Ihre bin, während ich mir sage, daß ich sterben werde, wenn ich Sie verliere, da erschrecken Sie nicht bei dem bloßen Gedanken, einem andern zu gehören! O Valentine, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, wenn ich mich so geliebt fühlte, wie Sie sicher sind, daß ich Sie liebe, ich hät-te schon hundertmal meine Hand durch dieses Gitter gestreckt, die Hand des armen Maximilian gedrückt und ihm gesagt: Dein, dein allein, Maximilian, in dieser und jener Welt!«
Valentine antwortete nichts, aber der junge Mann hörte sie seufzen und weinen. Maximilian war sofort gerührt. »Oh«, rief er, »Valentine, vergessen Sie meine Worte, wenn sie etwas enthalten, was Sie hat verletzen können!«
»Nein«, antwortete sie, »Sie haben recht, aber sehen Sie nicht, daß ich ein armes Geschöpf bin, eine Verlassene in einem fast fremden Haus – denn mein Vater ist mir fast ein Fremder –, eine Arme, deren Willen seit zehn Jahren täglich, stündlich, jede Minute gebrochen worden ist? Niemand sieht, was ich leide, und ich habe es niemand gesagt als Ihnen. Dem Anschein nach und in den Augen der Welt ist alles gut, alles lieb gegen mich; in Wirklichkeit aber ist mir alles feind. Die Welt sagt: ›Herr von Villefort ist zu ernst und streng, um sehr zärtlich gegen seine Tochter zu sein; aber sie hat wenigstens das Glück, in Frau von Villefort eine zweite Mutter gefunden zu haben.‹ Doch die Welt täuscht sich, mein Vater kümmert sich nicht um mich, und meine Stiefmutter haßt mich mit einer Erbitterung, die um so schrecklicher ist, als sie durch ein ewiges Lächeln verschleiert ist.«
»Sie hassen! Sie, Valentine! Wie kann man Sie hassen?«
»Ach, mein Freund«, antwortete Valentine, »ich muß gestehen, daß dieser Haß gegen mich einem fast natürlichen Gefühl entspringt.
Sie liebt ihren Sohn, meinen Bruder Eduard, abgöttisch.«
»Nun?«
»Es erscheint mir sonderbar, von dem, wovon wir eben sprechen, auf eine Geldfrage zu kommen, aber ich glaube, daß ihr Haß eine derartige Ursache hat. Da sie kein Vermögen hat, während ich schon von mütterlicher Seite her reich bin und dieses Vermögen später noch mehr als verdoppelt werden wird, weil mir der Besitz von Herrn und Frau von Saint-Méran zufallen wird, so glaube ich, ist sie neidisch. Ach Gott, wenn ich ihr die Hälfte dieses Vermögens geben und mich wieder wie eine Tochter im Haus ihres Vaters fühlen könnte, ich täte es auf der Stelle.«
»Arme Valentine!«
»Ja, ich fühle mich gefesselt und dabei zugleich so schwach, daß mir ist, als ob diese Bande mir eine Stütze seien, und daß ich Angst habe, sie zu zerreißen. Zudem ist mein Vater kein Mann, dessen Befehlen man ungestraft zuwiderhandeln könnte; er hat Macht über mich, und er würde seine Macht auch Ihnen gegenüber, ja selbst dem König gegenüber geltend machen, geschützt, wie er ist, durch eine tadellose Vergangenheit und eine fast unangreifbare Stellung. O
Maximilian, ich schwöre es Ihnen, ich kämpfe nicht, weil ich fürchte, Sie in diesem Kampf ebensosehr zu verderben wie mich.«
»Aber warum denn so verzweifeln, Valentine, und die Zukunft immer fi nster sehen?« entgegnete Maximilian.
»Ach, mein Freund, weil ich sie nach der
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