Der Graf von Monte Christo 2
mit einem Lächeln zu ihm, »wir verlassen morgen Paris.«
»Haben Sie hier nichts mehr zu tun?« fragte Morrel.
»Nein«, antwortete Monte Christo, »und gebe Gott, daß ich nicht zu viel getan habe!«
D A
Die Ereignisse, die sich so kurz hintereinander zugetragen hatten, beschäftigten ganz Paris. Emanuel und seine Frau sprachen davon mit begreifl icher Überraschung in ihrem kleinen Salon in der Rue Meslay; sie brachten die drei ebenso plötzlichen wie unerwarteten Katastrophen in der Morcerfschen, Danglarsschen und Villefortschen Familie miteinander in Verbindung.
Maximilian, der sie besuchte, hörte die Unterhaltung mit der bei ihm seit einiger Zeit gewöhnlichen Teilnahmslosigkeit an.
»Wirklich«, sagte Julie zu Emanuel, »sollte man nicht meinen, daß alle diese reichen Leute, die gestern noch so glücklich waren, in der Berechnung, auf der sie ihr Vermögen, ihr Glück und ihr Ansehen aufgebaut haben, den Anteil des bösen Genius vergessen hätten und daß dieser, wie die bösen Zauberinnen des Märchens, die man nicht zur Hochzeit oder Kindtaufe eingeladen hat, plötzlich erschienen ist, um sich wegen dieses Vergessens zu rächen?«
»Welches Unglück!« sagte Emanuel, der an Morcerf und Danglars dachte.
»Welche Leiden!« äußerte Julie, die an Valentine dachte, deren Namen sie mit weiblichem Instinkt nicht in Gegenwart ihres Bruders nannte.
In diesem Augenblick ertönte die Glocke. Dies war das vom Hausmeister gegebene Zeichen, daß Besuch kam. Fast zur gleichen Zeit öff nete sich die Tür, und der Graf von Monte Christo erschien auf der Schwelle. Die beiden jungen Leute stießen einen Freudenruf aus. Maximilian hob den Kopf und ließ ihn wieder sinken.
»Maximilian«, sagte der Graf, ohne daß er die verschiedenen Eindrücke, die seine Gegenwart hervorbrachte, zu bemerken schien,
»ich komme, um Sie abzuholen.«
»Mich abholen?« fragte Morrel, wie aus einem Traum erwa-chend.
»Ja«, entgegnete Monte Christo; »ist es nicht abgemacht, daß ich Sie mitnehme, und habe ich Ihnen nicht gestern gesagt, sich bereit zu halten?«
»Ich bin bereit«, antwortete Maximilian; »ich kam hierher, um Abschied zu nehmen.«
»Und wohin gehen Sie, Herr Graf?« fragte Julie.
»Zuerst nach Marseille, gnädige Frau.«
»Nach Marseille?« wiederholten beide Gatten.
»Ja, und ich entführe Ihnen Ihren Bruder.«
»Ach, Herr Graf«, sagte Julie, »geben Sie ihn uns geheilt zu-rück!«
Morrel wandte sich ab, um seine Röte zu verbergen.
»Sie haben also bemerkt, daß er leidend ist?« fragte der Graf.
»Ja«, antwortete die junge Frau, »und ich fürchte, er langweilt sich außerdem bei uns.«
»Ich werde ihn zerstreuen«, entgegnete der Graf.
»Ich bin bereit, Herr Graf«, sagte Maximilian. »Leb wohl, Emanuel!
Leb wohl, Julie!«
»Wie!« rief Julie. »Sie wollen so auf der Stelle abreisen, ohne Vorbereitungen, ohne Pässe?«
»Das Zögern verdoppelt den Schmerz der Trennung«, entgegnete der Graf, »und Maximilian hat sich jedenfalls mit allem versehen; denn ich hatte es ihm empfohlen.«
»Ich habe meinen Paß, und meine Koff er sind gepackt«, sagte Morrel mit seiner teilnahmslosen Ruhe.
»Sehr schön«, sagte Monte Christo lächelnd, »da erkennt man die Pünktlichkeit des guten Soldaten.«
»Und Sie verlassen uns so im Augenblick?« fragte Julie. »Sie schenken uns nicht einen Tag, eine Stunde?«
»Mein Wagen hält vor der Tür, gnädige Frau; ich muß in fünf Tagen in Rom sein.«
»Aber Maximilian geht doch nicht nach Rom?« fragte Emanuel.
»Ich gehe, wohin mich der Graf führt«, sagte Morrel mit trübem Lächeln; »ich gehöre ihm noch für einen Monat an.«
»Mein Gott! Wie er das sagt, Herr Graf!«
»Maximilian begleitet mich«, entgegnete der Graf mit seiner über-zeugenden Liebenswürdigkeit, »beruhigen Sie sich deshalb wegen Ihres Bruders.«
»Leb wohl, Schwester«, wiederholte Morrel. »Leb wohl, Emanuel.«
»Er zerreißt mir das Herz mit seinem Gleichmut«, sagte Julie. »O
Maximilian, du verbirgst uns etwas.«
»Pah!« meinte Monte Christo. »Sie werden ihn heiter, lachend und fröhlich wiederkommen sehen.«
Maximilian warf Monte Christo einen Blick zu, in dem beinahe etwas wie Verachtung und Zorn war.
»Gehen wir!« sagte der Graf.
»Ehe Sie gehen, Herr Graf«, sagte Julie, »gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, was ich neulich …«
»Gnädige Frau«, entgegnete der Graf, indem er ihre Hände nahm,
»was Sie mir sagen würden, wird nie das
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