Der Graf von Monte Christo 2
nach.«
»Sie sind nicht Busoni, nicht Monte Christo? Mein Gott, Sie sind dieser verborgene, unerbittliche Todfeind! Ich habe in Marseille etwas gegen Sie getan, o wehe mir!«
»Ja, du hast recht, das ist’s«, sagte der Graf, indem er die Arme über seiner breiten Brust kreuzte; »suche, suche!«
»Aber was habe ich dir denn getan?« rief Villefort, dessen Geist schon auf der Grenze zwischen Vernunft und Wahnsinn schwankte.
»Was habe ich dir getan? Sag an! Sprich.«
»Sie haben mich zu einem langsamen und gräßlichen Tod verurteilt, Sie haben meinen Vater getötet, Sie haben mir die Liebe mit der Freiheit genommen und das Glück mit der Liebe!«
»Wer sind Sie? Wer sind Sie denn? Mein Gott!«
»Ich bin der Geist eines Unglücklichen, den Sie in die Verliese des Schlosses If eingesargt haben. Diesem endlich seinem Grab entstie-genen Geist hat Gott die Maske des Grafen von Monte Christo auf-gesetzt und ihn mit Diamanten und Gold bedeckt, damit Sie ihn erst heute erkennen.«
»Ah! Ich erkenne dich, ich erkenne dich!« sagte der Staatsanwalt.
»Du bist …«
»Ich bin Edmund Dantès!«
»Du bist Edmund Dantès!« rief der Staatsanwalt, indem er den Grafen bei der Hand ergriff . »Dann komm!«
Und er zog ihn mit sich über die Treppe; Monte Christo folgte ihm, ohne zu wissen, wohin er ihn führte; er ahnte ein neues Unglück.
»Da, Edmund Dantès«, sagte Villefort, indem er dem Grafen die Leichen seiner Frau und seines Sohnes zeigte, »da, sieh hin, bist du gerächt?«
Monte Christo erbleichte bei diesem schrecklichen Anblick; er fühlte, daß er die Rechte der Rache überschritten hatte, daß er nicht mehr sagen konnte: »Gott ist für mich und mit mir.«
Er stürzte mit einem Gefühl unaussprechlicher Qual auf den Leichnam des Kindes zu, öff nete ihm die Augen, befühlte den Puls und eilte mit dem Knaben in das Zimmer Valentines, das er hinter sich abschloß.
»Mein Kind!« rief Villefort. »Er nimmt mir den Leichnam meines Kindes fort! Oh, Fluch, Unglück, Tod über dich!«
Er wollte Monte Christo nachstürzen; aber wie in einem Traum fühlte er seine Füße an den Boden festwurzeln, seine Augen traten aus den Höhlen, seine gekrümmten Finger drangen allmählich in das Fleisch seiner Brust, bis das Blut die Nägel rot färbte; die Adern seiner Stirn schwollen an, wie Feuer brannte es ihm im Gehirn.
Diese Starre dauerte einige Minuten, dann war die schreckliche Zerrüttung seines Verstandes vollendet. Er stieß einen gellenden Schrei aus, lachte laut auf und stürzte über die Treppe davon.
Eine Viertelstunde darauf wurde das Zimmer Valentines wieder geöff net, und Monte Christo erschien wieder, bleich, fi nsteren Auges, die Brust bedrückt; alle Züge dieses gewöhnlich so ruhigen, edlen Gesichts waren durch den Schmerz entstellt. In den Armen hielt er das Kind, dem keine Hilfe das Leben hatte zurückgeben können.
Er beugte ein Knie und legte das Kind langsam und vorsichtig neben die Mutter, so daß der Kopf auf ihrer Brust ruhte. Dann stand er auf, verließ das Zimmer und fragte auf der Treppe einen Diener, wo Herr von Villefort sei. Der Diener zeigte, ohne zu antworten, zum Garten.
Monte Christo begab sich in den Garten, folgte der angedeuteten Richtung und sah Villefort mit einem Spaten in einer Art Wut die Erde aufgraben, während die Dienerschaft um ihn herum stand.
»Hier ist’s wieder nicht«, sagte der Staatsanwalt, »hier ist’s wieder nicht.« Und er begann an einer andern Stelle zu graben.
Monte Christo trat an ihn heran und sagte leise und in fast de-mütigem Ton: »Herr von Villefort, Sie haben einen Sohn verloren; aber …«
Villefort, der nichts gehört und auch nichts verstanden hatte, unterbrach ihn.
»Oh, ich werde es wiederfi nden«, sagte er; »wenn Sie auch behaupten, daß es nicht mehr da sei; ich werde es wiederfi nden, und müßte ich bis zum Jüngsten Gericht suchen.«
Monte Christo wich entsetzt zurück.
»Oh«, sagte er, »er ist wahnsinnig!«
Und als ob er fürchtete, daß die Mauern des verfl uchten Hauses über ihm zusammenstürzen könnten, eilte er auf die Straße; zum erstenmal zweifelte er daran, daß er das Recht hatte zu tun, was er getan hatte.
»Oh, genug, genug hiervon!« sagte er. »Retten wir den Letzten!«
Als er in sein Haus in den Champs-Elysées zurückkehrte, traf er Morrel, der schweigend wie ein Schatten, der darauf wartet, wieder in sein Grab zurückzukehren, durch das Haus irrte.
»Machen Sie sich fertig, Maximilian«, sagte er
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